Green Card

Ein Wiedersehen mit dem Russen Anton in den USA

19.10.2014 - Kanab / USA (33450 km)

Das ist die Golden Gate Bridge? Die hab' ich mir ja ganz anders vorgestellt. Sie schwingt sich aus der Ebenerdigkeit über einen Damm in die Höhe, überquert die San Francisco Bay und senkt sich wieder ab. Wie ein harmloser Abschnitt einer Achterbahn. Ziemlich unspektakulär. Ein wenig enttäuscht bin ich schon.

Ich radele weiter auf dem Randstreifen des Freeways auf die Brücke zu. - Quatsch! Das ist nicht die Golden Gate Bridge! Die sieht anders aus, ich hab' sie doch schon auf Fotos gesehen. Dies ist die falsche Brücke. Der Blick auf die Landkarte bestätigt, dass ich eine Abzweigung verpasst habe und zu weit nach Osten geraten bin. Das da vorn ist die Brücke nach Richmond.

Die falsche Golden Gate Bridge

Also ein paar Kilometer zurück und mehr nach Süden orientieren. Wieder gibt es keine vernünftige Alternative zum Freeway. In den US-Staaten gibt es unterschiedliche Regeln für die Benutzung dieser autobahnähnlichen Straßen. Bisher durfte und musste ich auf ihnen radeln, wenn sie der einzige Weg weit und breit waren. Wegen des breiten Seitenstreifens sind sie immerhin sicherer als so manche Landstraße. Allerdings ist die Querung der Aus- und der Auffahrten nicht ganz ungefährlich. Und außerdem verleidet einem der enorme Reifenlärm den Spaß am Radfahren.

An dieser Freeway-Auffahrt Richtung Süden steht ein ausdrückliches Verbotsschild gegen Radler. Ist mir egal. Ich bin bei Heidi und Martin angemeldet, und die Zeit wird langsam knapp. Dem Sheriff, der mich kurz darauf überholt, ist das allerdings nicht egal - er verweist mich des Freeways, ich muss wieder zurück und in einem weiten bergigen Bogen nach San Francisco fahren.

Mit dem Sonnenuntergang komme ich schließlich an der richtigen Golden Gate Bridge an. Sie ist wirklich großartig. Unverwechselbar, majestätisch.

Ein würdiger Ort, mich von meiner verschlissenen Jogginghose zu verabschieden. Eineinhalb Jahre nach dem Start ist sie durchgesessen und abgewetzt. In Thailand hat eine Schneiderin den Hosenboden mit Flicken verstärkt, aber inzwischen lösen sich überall der Stoff und die Nähte auf - die Hose ist nicht mehr zu retten. Ein würdiger Ort also für den Abschied. Aber sie flattert nicht in den Pazifischen Ozean, sondern in einen der Abfalleimer auf dem Parkplatz direkt vor der Brücke.

Dann fliege ich hinüber nach San Francisco, 70 Meter über dem Meer. Links öffnet sich die Bucht von San Francisco, rechts verläuft sich der Pazifik in Endlosigkeit.

Bei meinen Warm Showers-Gastgebern Heidi und Martin Siegenthaler (ihre Vorfahren wanderten aus Deutschland und der Schweiz ein) komme ich erst nach Einbruch der Dunkelheit an. Die Fahrt bis dorthin ist auch nachts ungefährlich, da sie in einem recht sicheren Vorort von San Francisco wohnen.

Sie sind gewissermaßen Warm Showers-Profis, hatten bisher sage und schreibe 200 Gäste. Ich verbringe zwei Nächte bei ihnen. Da sie beide berufstätig sind, hat man ihr Haus tagsüber für sich allein.

"Ist euch niemals etwas gestohlen worden?"

"Einmal", sagt Heidi, "fehlte eine Kette nach der Abreise eines Radlers, eine Halskette mit großem Erinnerungswert für mich. Es war sehr seltsam, er hatte diese Kette vorher schon die ganze Zeit angestarrt. Aber sonst haben wir keine schlechten Erfahrungen gemacht."

Die berühmten Cable Cars in den steilen Straßen von San Francisco

 

 

 

 

 

 

 

 

Vor einigen Monaten fragte Anton Tschelych, mein russischer Freund aus Erlangens Partnerstadt Wladimir, an, ob wir uns für eine Radtour durch den Nordwesten der USA treffen könnten. Das passte leider nicht mit meiner Planung zusammen, da ich zu der Zeit noch in Shanghai auf das Schiff nach Kanada wartete. Davon abgesehen überraschte mich seine Nachricht sehr, denn ursprünglich hatte Anton eine längere Radreise durch Asien geplant. Doch dann kam für ihn plötzlich alles anders, sein ganzes Leben änderte sich durch eine kurze Benachrichtigung aus Nordamerika.

Anton hatte mich Mitte Mai letzten Jahres für fünf Tage mit dem Fahrrad begleitet, von Wladimir über Moskau bis in das kleine Städtchen Shazk. Dort verabschiedeten wir uns, und er radelte auf dem direkten Weg zurück nach Wladimir. Zu Hause angekommen, erfuhr er, dass er die Green Card für die Vereinigten Staaten gewonnen hatte, die Eintrittskarte in die USA.

Tschelych Anton hat sich gemeldet!

Es war seine vierte Teilnahme an dieser Verlosung. Als 22jähriger hatte er 2008 zum ersten Mal sein Glück versucht. Weltweit gibt es gut 50.000 Gewinner pro Jahr; die Gewinnwahrscheinlichkeit liegt insgesamt bei zwei Prozent, für Europäer allerdings nur bei einem Prozent.

Seit einigen Monaten lebt Anton nun in Mountain View südlich von San Francisco. Ich komme kurz nach 18 Uhr in der Siedlung an und sehe ihn schon ein paar Hundert Meter vor seiner Wohnung auf der Straße. Auch aus der Entfernung erkennen wir uns sofort. Unglaublich! Eineinhalb Jahre nach dem Abschied im winzigen russischen Shazk treffen wir uns im Silicon Valley wieder!

Ein Tipp, den Green Card-Gewinner im Internet ihren Nachfolgern üblicherweise geben: Geht nicht nach Kalifornien, das Leben ist dort viel zu teuer. Andererseits sind aber auch die Einkommen höher, wenn man es denn schafft, einen der attraktiven Jobs im Silicon Valley zu ergattern. Hier in Mountain View sind Internet-Größen wie Google und Yahoo zu Hause.

Anton mit seinem Reiserad, das er noch in Wladimir zusammenbaute. Die Zutaten sind vom Feinsten: Titan-Rahmen, Rohloff-Nabe, Tubus-Träger, SON-Nabendynamo, Schwalbe-Reifen, Brooks-Sattel. Die Ortlieb-Taschen hat ihm Jörg Gruner überlassen, der mich zusammen mit Gertrud Härer und Walter Költsch von Erlangen bis nach Wladimir begleitet hatte,

Das führt in dieser Region auch zu unglaublich hohen Mietpreisen. Anton teilt sich ein Zweizimmer-Appartement mit drei anderen Russen, die ebenfalls die Green Card gewonnen haben. In jedem Zimmer liegen zwei Matratzen auf dem Boden, für mich wird im hinteren Raum eine dritte Matte ausgebreitet. Damit bleibt kaum noch Platz, sich zu bewegen. Für die 42qm-Wohnung zahlen die vier Russen monatlich 2000 Dollar.

Wir machen eine kleine Radtour durch die Umgebung. Im offenen Betriebsgelände von Google sitzen wir auf Google-bunten Stühlen im Schatten der Bäume. Anton erzählt, wie es weiterging, nachdem er im September 2013 den Einwanderungsprozess in Gang bringen konnte. Er musste ein langes Formular ausfüllen und nach Kentucky schicken. Dann folgte ein persönliches Interview, das gerade einmal zehn Minuten dauerte. Bei meiner Einreise von Kanada in die USA bin ich mindestens genauso lange ausgefragt worden.

Google Headquarter. Im Hintergrund kostenlose, Google-farbene Leihfahrräder.

 

Anton sollte seine Pläne erläutern, wohin in den USA er gehen wolle und was er dort vorhabe. Außerdem musste er nachweisen, dass er ausreichend Geld für die ersten drei bis sechs Monate hat: 7.000 oder besser 10.000 Dollar. Er darf die USA für bis zu sechs Monate verlassen, muss dann aber zurückkehren, wenn seine Green Card nicht verfallen soll. Nach fünf oder sechs Jahren in den USA kann er den US-Pass beantragen.

Inzwischen hat Anton ein Praktikum in einer Software-Firma angetreten. Sein Ziel ist es, als Entwickler oder Datenbank-Administrator zu arbeiten. Dafür benötigt er nach dem Praktikum eine zwei- bis dreijährige Ausbildung an der Universität, die ca. 1000 Dollar im Monat kostet. Kurz nach der Einreise in die USA hat er den amerikanischen Führerschein gemacht, um als Taxifahrer nebenher Geld zu verdienen.

Bei meiner Weiterreise begleitet mich Anton 25 Kilometer aus Mountain View heraus. Diesmal bleibt es bei dieser kurzen gemeinsamen Tour, denn er ist in diesen Wochen vorrangig mit der Weiterbildung beschäftigt.

Kevin und sein Lastesel

 

Über Lafayette, wo ich vis-a-vis San Francisco noch einen Freund meines Bruders besuche, geht die Reise weiter zum Yosemite National Park. Kurz vor der Parkeinfahrt lerne ich auf der Straße Kevin kennen, einen Reiseradler aus Louisiana. Er fährt ein eigenartig langes Fahrrad, ein "Surly Big Dummy". Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein Tandem, aber es fehlt der zweite Sitz. Auf den zweiten Blick sieht es aus wie ein Fahrrad mit fest eingebautem Anhänger. Und es ist in der Tat so etwas wie ein Lastesel. Das Gefährt ist um einen halben Meter verlängert und hat einen integrierten, extrem stabilen Gepäckträger.

Die letzten Tage waren angenehm warm, doch am folgenden Morgen wird das Wetter schlechter - kalt und regnerisch. Die Ranger am Parkeingang berichten, dass oben am Tioga-Pass Schnee fällt und starker Wind geht. Kevin und ich beschließen, mindestens einen Tag in tieferen Lagen zu bleiben, bevor wir zu dem 3000 Meter hoch gelegenen Pass aufsteigen. Während ich im Visitor Center Informationen zur Wetterlage einhole, wird Kevin von einem Ehepaar angesprochen. Ellen und Carl schlagen vor, dass wir unsere Zelte auf ihrem Stellplatz im Crane Flat Campground aufbauen. Ein Riesenglück, denn sie haben sich bereits einigermaßen gemütlich eingerichtet. Ohne sie hätten wir die beiden kommenden Tage bei Kälte und Regen in unseren Zelten ausharren müssen. Die meiste Zeit sitzen wir unter dem Plastikdach, das sie aufgespannt haben, und verquatschen die Zeit. Eine Regenpause nutzen wir für die Wanderung zu den gigantischen Sequoia-Bäumen in der Umgebung.

Ellen und Carl haben uns auf ihren Stellplatz im Crane Flat Campground eingeladen. Wir genießen ihre Infrastruktur. (Foto: Carl Umland)

 

 

 

 

 

 

 

Am dritten Morgen ist der Himmel wolkenlos. Selbst hier, in nur 1800 Metern Höhe, hat es Nachtfrost gegeben. Ich verabschiede mich von Ellen und Carl und auch von Kevin. Er ist mit seinem schweren Rad deutlich langsamer als ich und will bereits auf halbem Weg zum Tioga-Pass übernachten. Ich möchte kein Risiko eingehen und noch heute über den Pass bis nach Lee Vining fahren. Es wird ein ziemlicher Kraftakt, rund 2000 Höhenmeter, weil man zwischendurch gutgemachte Höhe wieder verliert. Für die Schönheit der Natur - wunderbar klare Berg- und Waldlandschaft - habe ich an diesem Tag nicht viel übrig. Es gibt nur ein Ziel: rüber auf die andere Seite, bevor das Wetter wieder umschlägt.

Zum ersten Mal seit Zentralasien wieder auf 3000 Meter aufgestiegen

 

 

 

Parallel zu den Bergen der Sierra Nevada fahre ich weiter von Lee Vining durch das Owens-Tal nach Süden. Nach zwei kurzen Radeltagen ist die Kälte des Yosemite-Parks vergessen. Schon drehen sich die Gedanken um die bevorstehende Hitze am tiefsten Punkt der westlichen Hemisphäre, im Death Valley.

Im Hostel in Lone Pine treffe ich auf Russ McCoy, einen Reiseradler aus New Mexico, der seit fünf Monaten unterwegs durch die USA und Kanada ist. Das fügt sich gut, denn auch er möchte morgen ins Death Valley starten. Und er ist viel besser über den bevorstehenden Abschnitt informiert. Er zeigt mir auf seiner detaillierten Landkarte die Höhenzüge, die noch zu überwinden sind, und die wenigen Orte, an denen es unten im Tal Wasser gibt. Die Durchquerung des Death Valley wird härter werden, als ich erwartet habe.

 
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