Zona Roja

Durch Guerilla-Land nach Ecuador

5.7.2015 - Penipe (46180 km)

Kolumbien, ganz im Norden Südamerikas, ist jahrzehntelang eine "No-go-Area" gewesen. Verschiedene Rebellengruppen machten das Land schon Ende der 50er-Jahre unsicher, als bekannteste unter ihnen die linksgerichtete FARC. Anfang der 80er-Jahre kamen noch die Probleme durch mächtig gewordene Drogenkartelle hinzu. Drogenbosse wie Pablo Escobar wurden während dieser Zeit salonfähig, sein Kartell gründete sogar eine eigene Partei und mehrere Zeitungen.

Mit der Wahl des Hardliners Alvaro Uribe zum Präsidenten Kolumbiens änderte sich im Jahr 2002 die Sicherheitslage schlagartig. Die von den FARC-Rebellen kontrollierten Überlandstraßen waren durch massiven Einsatz von Militär plötzlich wieder offen, das Leben allgemein normalisierte sich. Die FARC wurde im Laufe des letzten Jahrzehntes mehr und mehr verdrängt, die Rebellen zogen sich dabei vor allem in die Dschungel- und Grenzgebiete zu den Nachbarstaaten zurück. Sie konnten jedoch niemals vollständig besiegt werden. 2012 begannen in Havanna Friedensgespräche zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC, die allerdings noch keine greifbare Lösung gebracht haben.

Guerilleros im Nebel? -- Nein, sie gehören offenbar zu den regulären Streitkräften.

Als ich bei Freunden in der Nähe von Bogotá zu Besuch bin, erfahre ich, dass die FARC nur wenige Tage zuvor ihren einseitigen Waffenstillstand aufkündigt hat. Kurz darauf startete die Organisation Angriffe auf Sicherheitskräfte und auf die Infrastruktur im Süden Kolumbiens. Bei dem Überfall auf eine Polizeistation kamen drei Polizisten ums Leben. Die Guerilleros kappten Strommasten und sprengten Pipelines, nahe der Grenze zu Ecuador stoppten sie einen Tanklastwagenkonvoi und zwangen 19 Fahrer, ihre gesamte Ölladung abzulassen - in die Dschungellandschaft des Amazonasbeckens.

Ausländer waren in der Vergangenheit von den Angriffen der FARC selten betroffen, es gab jedoch gelegentlich Entführungen. Die Gewalt konzentriert sich auf die Provinzen Huila und Putumayo, somit scheint die Ostroute nach Ecuador für mich auf den ersten Blick nicht in Frage zu kommen. Da es aber einige Querverbindungen zwischen den beiden Hauptstraßen gibt, entscheide ich mich schließlich doch, es zunächst einmal auf der Ostroute zu versuchen. Auf ihr taste ich mich nun langsam nach Süden vor, frage immer wieder die Menschen in den Ortschaften und auch die Polizei, wie denn die Lage ist. Meistens heißt es: "Tranquilo". Es ist ruhig - jedenfalls, solange man sich auf der Hauptstraße bewegt.

 

Diese Damen luden mich zum Kaffee ein, nachdem ich ihr schönes Häuschen fotografiert hatte.

 

60 Kilometer vor Neiva, der größten Stadt auf dieser östlichen Route, dringe ich in eine hellrote Gefahrenzone ein, in die Provinz Huila. Die Militärpräsenz nimmt nun stark zu. Im Kilometerabstand stehen Soldaten rechts und links der Straße, signalisiert durch eine riesige kolumbianische Flagge, die über ihnen in den Bäumen hängt. Die Farbverteilung auf dieser Flagge ist übrigens etwas gewöhnungsbedürftig: oben ein sehr breiter gelber Streifen, darunter zwei schmale Streifen in Blau und Rot. Es gibt verschiedene Interpretationen der Farben, wobei die populärste Deutung ist: Gelb steht für die Bodenschätze des Landes (u.a. Gold), Blau für das Wasser von Atlantik und Pazifik, Rot für das Blut, das im Kampf für die Unabhängigkeit vergossen wurde.

Neiva macht keinen sympathischen Eindruck. Die Stadt ist grau und wirkt anonym. Später lese ich, dass auch schon vor einem Jahr Touristen in Richtung Süden aus der Stadt heraus eskortiert wurden. Unsicher fühle ich mich zwar nicht, aber Neiva ist kein Ort, an dem man unnötig lange bleiben möchte.

Vor dem nächsten kleineren Städtchen, Campoalegre, warnt mich der Mann, der vor seinem kleinen Laden Bier serviert. Die Leute dort seien kriminell. Ich solle besser in Hobo übernachten. Schwer einzuschätzen, ob seine Warnung berechtigt ist. Sind das wieder nur Nachbarschaftsrivalitäten, wie sie mir schon im Norden des Landes aufgefallen waren? Oder ist da was dran? Die Zeit bis zum Sonnenuntergang reicht gerade noch bis nach Hobo, wenn ich auf ein weiteres Bier verzichte. Schade, jetzt hat sich der gute Mann selbst um ein besseres Geschäft gebracht. Campoalegre lasse ich links liegen und verkrieche mich dann in Hobo in einem kleinen Zimmer einer unscheinbaren Hospedaje, in der die Übernachtung nur etwas mehr als fünf Euro kostet.

Hoffentlich wird diese Pensionärsvereinigung auch in Deutschland ohne Gelächter empfangen.

Alles in allem bin ich froh, auf der Ostroute unterwegs zu sein und nicht auf der Panamericana. Mit zunehmender Entfernung von der Hauptstadt - und jetzt auch von Neiva - nimmt der Straßenverkehr immer mehr ab. Auch die Soldaten sind verschwunden. Die frische, grüne, leicht hügelige Landschaft trägt zur Entspannung bei, rechts und links Felder und dahinter die andinen Bergketten - das alles in klarem Licht und reiner Luft.

Auf den gut 500 Kilometern bis zum östlichen Grenzübergang nach Ecuador liegt nun keine größere Stadt mehr. Ich muss nur eben durchkommen bis dorthin. Mit der Annäherung an die Problemprovinz Putumayo, auf der Gefahrenkarte Kolumbiens tiefrot markiert, sind die uniformierten, schwerbewaffneten Männer wieder da. Hinter einem 2200-Meter-Pass stehen in einem winzigen Dorf vier Panzer und etliche Soldaten. Mehr Soldaten, als das Dorf Bewohner hat. Das war's dann wohl - die werden mich zurückschicken!

Der Oberlauf des Rio Magdalena. Der Fluss ist mir zum ersten Mal bei Mompos begegnet, über 1000 Kilometer von hier entfernt.

Doch niemand der Bewaffneten zuckt, als ich vorbeiradle. Sie grüßen wieder nur freundlich. Eine seltsame Stimmung: Das Auge sagt: "Krieg", aber der Verstand sagt: "Es ist so dramatisch nicht."

Hinter dem Dorf mache ich Pause bei einem kleinen Laden am Straßenrand. Die junge, äußerst hübsche Frau dort, vielleicht 18 oder 20 Jahre alt, setzt sich neben mich, nachdem sie ein paar Empanadas gebracht hat. Sie fragt sehr neugierig die üblichen Fragen nach dem Woher und Wohin. Und sie meint, dass es gefährlicher sei weiter im Süden, unten in Putumayo. Während wir uns unterhalten, entgeht ihr nicht, dass winzige stechende Fliegen meine Fußgelenke umschwirren. Sie holt ein Küken aus dem Garten und setzt es neben meinen Füßen auf den Boden. Sofort geht das zweibeinige Knäuel wie abgerichtet auf die Minifliegen los. Ein wirklich witziges Kerlchen. Es haut nicht ab und lässt sich widerstandslos herumschubsen, so dass es mal hier und mal dort auf Fliegenjagd geht. Zur Belohnung kriegt es am Ende Küsse von der Hübschen auf den Schnabel. Oh Mann - sie hat so volle und trotzdem so natürliche Lippen. In anderen Teilen der Welt gibt es das nur aufgespritzt. Ich würde grad' wirklich gern mit dem Küken tauschen.

Es hat übrigens noch keinen Namen, das Küken. Beim Abschied taufe ich es Max, und der Name gefällt der Schönen. Taufe es Max, nicht weil mein Bruder so heißt, sondern weil ich an einen Bilderwitz denken muss, der mir vor zehn Jahren über den Weg lief.



In Mocoa besteht die letzte Möglichkeit, zur Westroute zu wechseln und dann den großen Grenzübergang bei Tulcan nach Ecuador zu nehmen. Der Weg führt auf einer sehr wilden Straße hinauf in das Andenhochland, sie wird gern verglichen mit der berüchtigten "gefährlichsten Straße der Welt" bei La Paz in Bolivien. Der Name hier: "El Trampolín de la Muerte" - die Todesschanze. Gefährlich ist sie weniger für Fahrräder, sondern eher für zweispurige Fahrzeuge, insbesondere Busse und Lastwagen, denn die Straße ist schmal und die Abhänge neben ihr sind steil und tief.

Ursprünglich wollte ich diesen Weg nehmen, doch André, der in Deutschland mitliest, hat mich auf den kleinen Grenzübergang bei San Miguel angesetzt. Wir hatten eine kleine Diskussion via Mail, bei der ich am Ende einsah, dass der östliche Grenzübergang auch seine Vorteile hat. Wobei damals allerdings das FARC-Problem noch nicht aktuell war.

Diese Brücke ist wichtiger, als man meinen könnte ...

... daher wird auch sie gut bewacht.

So frage ich in Mocoa also wieder nach der Sicherheitslage weiter im Süden, und die Antwort lautet: "Dificil!", heikel! "Heute hat die FARC dort eine Pipeline gesprengt." Es ist die falsche Antwort, eine, die ich nicht hören wollte. Mir wird bewusst, dass bereits meine Frage überflüssig war - die Entscheidung durchzustarten war innerlich schon gefallen.

Ölsee nach einem Anschlag auf die Pipeline

 

Bei Orito stoße ich am nächsten Tag auf die Pipeline, die ein bevorzugtes Ziel der Guerilleros ist. Das etwa 30 Zentimeter dicke Rohr verbindet das ölreiche Ecuador über Orito mit dem Südwesten Kolumbiens. An mehreren Stellen sind Spuren von Anschlägen zu sehen: verbrannte Bäume, verseuchte Erde, Regenbogenfarben auf schwarzem Wasser. Mir bleibt rätselhaft, bei wem die FARC mit solchen Aktionen Sympathie gewinnen will.

An der Stelle, an der die Pipeline wenige Tage zuvor gesprengt wurde, sind Arbeiter damit beschäftigt, die Schäden für die Natur in Grenzen zu halten und auch die Straße zu reinigen.

Entlang dieser Pipeline und vorbei an einigen Ölpumpen führt die Straße zur Grenze nach Ecuador. Sie erreicht schließlich den Grenzfluss, den eine moderne Brücke überspannt, die Puente Internacional San Miguel.

Hm ... schon durch. Schade, die Reise durch dieses schöne, abwechslungsreiche Kolumbien mit seinen freundlichen Menschen ist zu Ende. Nur einen kleinen Teil des Landes habe ich gesehen. Doch alles kann man sich auf einer Radreise um die Welt nicht anschauen, schon gar nicht in Ländern, die so viel zu bieten haben wie Kolumbien. Die Reise würde sonst nicht vier oder fünf Jahre dauern, sondern 20 bis 30 Jahre. Kolumbien gehört, wie Mexiko, zu den Ländern, in die ich gern noch einmal für längere Zeit zurückkehren möchte.

Es war sehr schön bei Euch! Schade, dass Kolumbien nicht bis hinunter nach Patagonien reicht.

 
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Maks

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