Give me!

Zambia und Malawi

25.8.2016 - Tukuyu (66937 km)

Nach dem Abschied von Gertrud bin ich noch eine ganze Woche in Lusaka geblieben. Vor allem gab es einiges in Sachen Visa für die kommenden Länder zu klären. So habe ich die Botschaften von Malawi, Tanzania, Ruanda und Kenia besucht - diese Länder sind bezüglich der Einreiseformalitäten jedoch weiterhin unkompliziert. Die Probleme beginnen mit Äthiopien. Noch immer ist unklar, ob die äthiopischen Botschaften in Uganda und Kenia Visa an Durchreisende erteilen (in Zambia, Malawi und Tanzania ist Äthiopien diplomatisch leider nicht vertreten). Falls nicht, habe ich ein Problem, denn Äthiopien ist - wie der Sudan und Ägypten - Teil des Nadelöhrs auf dem Rückweg nach Europa. Rechts und links dieses Weges brennt es. Genügend Freunde habe mich schon gewarnt, dass es auch in diesem Nadelöhr brennt.

Hier "unten" bin ich noch deutlich freier in der Routenwahl. Der Weg durch den Kongo scheidet zwar wegen visumtechnischer Probleme aus, aber ich kann zwischen verschiedenen Übergängen von Zambia nach Tanzania wählen und sogar noch einen Umweg durch Malawi einschlagen. Der ist nicht ganz billig, denn Malawi hat vor einem Jahr die Einreisegebühr von 0 auf schmerzhafte 75 Dollar erhöht. Doch diese Route bietet die Möglichkeit, den langen Weg durch die Savannen Zambias und Tanzanias aufzulockern. Es lockt ein Urlaub am schönen Lake Malawi.

Auf den ersten 250 Kilometern der "Great East Road" östlich von Lusaka ist Zambia sehr dünn besiedelt. Auch einer der größeren Orte, Shingela, besteht nur aus ein paar kleinen Läden, einer "Clinic" (eine kleine Gesundheitsstation) und einer Grundschule. In der Schule bekomme ich Unterkunft und muss nicht einmal mein Zelt aufbauen, sondern kann in der Bibliothek meine Matratze ausbreiten. Strom gibt es im ganzen Dorf nicht; ich zwänge mich mit der Stirnlampe auf eine der kleinen Schulbänke und hole die Tagebuchnotizen der vergangenen Woche nach.

Leistungsstarke Solarzellen halten Einzug in Afrika (die linke leistet ca. 100 Watt).

Zwei Stunden nach Sonnenuntergang bringt die hübsche braunäugige Gazelle, die im Nachbarraum wohnt, einen Teller Nshima (Maisbrei) mit zwei kurzen Fischchen und vielen Bohnen vorbei. So eine Überraschung! Es ist einfach rührend, wie sich die Afrikaner um einen Fremden sorgen, besonders um den Alleinreisenden, weil sie Mitleid mit einem haben, der keine Gesellschaft hat.

Bei der Rückgabe des Plastiktellers übergebe ich der Gazelle zum Dank eine meiner beiden Cheddar-Packungen aus dem Supermarkt in Lusaka. Käse ist sauteuer in Afrika, ein Luxusprodukt, ich habe ihn nur kaufen können, weil er im Angebot war. Da viele Afrikaner Milchprodukte nicht vertragen, frage ich die Hübsche und ihre beiden Freundinnen, ob sie Käse überhaupt essen. Die Reaktion ist etwas sonderbar: "We don't enjoy it, but we eat it." - Der gute Käse! Sie werden ihn hoffentlich nicht widerwillig runterwürgen. Aber vielleicht hat "enjoy" für sie ja eine etwas andere Bedeutung.

Am Luangwa-Fluss

Es ist hügelig auf dem Weg durch den Osten Zambias. Die Luft ist feuchter geworden, die afrikanische Sonne sticht, so dass 1500 Höhenmeter an einem Tag durchaus Mühe machen. Ein seltsam unregelmäßiger Wind bläst, meist von vorn, manchmal andauernd, manchmal stoßweise, ab und zu schiebt er aber auch kurz von hinten an. Als kämen da wandernde Wirbelwinde mit einigen Hundert Metern Durchmesser vorbei.

Die Tage sind gleichförmig. Savanne, Savanne, Savanne, ab und zu einzelne Hütten neben der Straße, gelegentlich ein kleines Dorf, selten mal ein großes. Am Wegrand viele Köhler, die ihre Holzkohle in riesigen Säcken anbieten. Bei der Leere dieses Landstriches ist ihr Treiben wahrscheinlich unbedenklich, vermutlich wächst genügend Holz nach.

Holzkohle zum Verkauf am Straßenrand

Kurz vor der Grenze ist es vorbei mit der friedlichen und freundlichen Atmosphäre Zambias. Seit längerer Zeit mal wieder ein nicht so angenehmer Übergang mit vielen halbseidenen Gestalten. Es fängt schon 30 Kilometer vor der Grenze mit den Geldwechslern in Chipata an. Nachdem sie mir einen sehr schlechten Kurs genannt haben, fragen sie, wie viele Malawi-Kwacha ich für meine 300 Zambia-Kwacha denn haben möchte. Ich vertue mich um Faktor 10 und sage "2.400". So schnell, wie einer von ihnen sein Geld aus der Tasche zieht, wird mir der Fehler sofort bewusst. 24.000 hingegen wollen sie auf gar keinen Fall rausrücken. Sie bieten 20.000. Wir einigen uns schließlich auf 22.000. Eigentlich hätte ich ja gar nicht mehr mit ihnen verhandeln sollen, weil sie mich, ohne mit der Wimper zu zucken, mit einem Zehntel des Wertes abspeisen wollten.

Der Malawi-Kwacha hat in den letzten Jahren stark an Wert verloren. Der kleinste Schein (20 Kwacha) ist nur noch 2,5 Euro-Cent wert. Der größte Schein (1000 Kwacha) hat den Gegenwert von 1,25 Euro. Ich fahre also wieder mit Geldbündeln in den Packtaschen durch das Land.

 

An der Grenze geht es weiter. Als die Einreiseformalitäten erledigt sind, fahre ich vom Immigration Office die 50 Meter vor bis zur letzten Schranke. Doch der Uniformierte, der daneben steht, öffnet sie nicht. Ob ich meinen Stempel hätte, fragt er. Ich zeige ihm den Pass mit dem frischen, teuren Visum. Er schaut kaum hin. Dafür spricht er nun mit bedeutungsschwerer Stimme: "Sie sind mit dem Fahrrad vom Immigration Office bis hierher gefahren." Dabei zeigt er auf die Malawiflagge hoch über uns, die ich wohl nicht genügend gewürdigt habe. "Sie dürfen hier nicht fahren."

Nachtigall, ick hör dir trapsen! - Ich lehne mich auf den Lenker, um seinem schmierigen Gesicht ein paar Zentimeter näher zu sein: "Und was bedeutet das?"

"Das ist jetzt ein Problem!"

Noch einmal frage ich und schaue ihm dabei tief in die Augen: "Und was bedeutet das?"

Bevor er antworten kann, öffnet einer seiner Kollege vor uns die Schranke, denn von der anderen Seite kommt ein Auto. Ich wehre es mit beiden Händen wild gestikulierend ab. "Das ist nicht erlaubt!" rufe ich dem Fahrer zu. Und lächele dabei natürlich. Klatsche aber mit der linken Hand mehrmals auf die offene rechte: "Das kostet 20 Dollars Strafe. Das kostet dich 20 Dollars!"

Alle drum herum lachen. Auch der Schmierige.

Die Marke aus Copenhagen ist schon seit Jahrzehnten in Malawi vertreten.

Durch die offene Schranke fahre ich hinein nach Malawi. Mein dritter Besuch in diesem Land. Die Reise 1993 war ein Highlight während meiner ersten Afrikadurchquerung. Auch die anderen Traveller, die ich traf, waren von Malawi begeistert - wegen der Landschaft, der sehr freundlichen Menschen und wegen der allgemeinen Sicherheit.

Sicher war es in diesem Land allerdings auch deswegen, weil 1993 noch ein Diktator herrschte. Dr. Hastings Kamuzu Banda regierte mit eiserner Hand, unterband Opposition und Meinungsfreiheit. Das bekam man als Besucher nicht unmittelbar mit, die Menschen sprachen ja nicht darüber. Nur einige oberflächliche Restriktionen waren allgemein bekannt. Sie ließen den alten Banda jedoch nur konservativ und schrullig erscheinen: Jeder männliche Reisende wusste, dass er nicht mit langen Haaren einreisen konnte, jede weibliche Reisende wusste, dass sie keine Hosen tragen durfte.

Speiseöl ist in Malawi teuer und wird daher auch in kleinen Mengen verkauft.

 

 

 

 

Dr. Banda ließ sich im hohen Alter von etwa 90 Jahren (sein Geburtsdatum ist nicht bekannt) dann doch überreden, freie Wahlen für ein Mehrparteiensystem abzuhalten. Das Volk wählte ihn ab und bekam nun etwas, was wie Demokratie aussah. Mit dieser neuen Freiheit kam eine Zeit, in der sich viele ihre Rechte selbst definierten. Plötzlich gab es auch in Malawis Städten, die vorher immer sicher waren, Überfälle. Leider rund um die Welt dasselbe: Diktatur impliziert für den Reisenden Sicherheit, die Übergangsphase auf dem Weg zur Demokratie ist anfällig für Chaos und Anarchie. Als ich 2001, zusammen mit meinem Bruder, wieder durch Malawi radelte, waren wir in einem anderen Land unterwegs. Auch die lieben, süßen Kinder von 1993 gab es nicht mehr. Stattdessen bettelten kleine Rabauken aus Spaß und Zeitvertreib am Straßenrand, Jugendliche machten immer wieder abfällige Bemerkungen, so dass wir uns wie radelnde Clowns vorkamen.

Und wie ist Malawi heute?

Gleich am ersten Tag höre ich es mehrmals wieder, wie damals vor 15 Jahren: "Give me, give me!" Die kleinen Kinder wissen gar nicht, was sie eigentlich wollen, weil sie bisher nur "Give me!" gelernt haben. Die größeren wissen mehr: Give me ... a pen, a book, your bottle. Geld wird gleich komplett eingefordert. Entweder mit "Give me your money!" oder sogar mit "Give me my money!"

Gelegentlich betteln aber auch junge Erwachsene. "Give me your handbag!" sagt eine 20jährige zögerlich und zeigt dabei auf meine vordere Packtasche.

"Give money!" ruft ein junger Mann hinter mir her. Es vergehen zwei Sekunden, bis ich mich entscheide, das Fahrrad abzubremsen. Ich schaue zu ihm zurück, greife dann in die rechte Hosentasche, in die leere, und wühle umständlich darin. Genügend Zeit für den Kerl herbeizurennen. Als er da ist, ziehe ich die Hand wieder heraus, verneige mich vor ihm und überreiche mit beiden Händen, was ich in der Tasche gefunden habe: nichts. Doch meine Belehrung läuft ins Leere. Die Enttäuschung ist bei mir größer als bei ihm! Er nimmt es nämlich amüsiert an, das Luftgeld, meinen Scheinschein, das Nichts. Er benutzt dabei ebenfalls beide Hände, was in Afrika die Wertschätzung betont. Und er bedankt sich höflich.

Eine kleine Malawierin mit dem Fußball, den ihr Bruder aus Papier und einer Plastiktüte gebastelt hat.

 

Sein Humor hilft mir, diese aufgetragene Bettelei in den kommenden vier Wochen etwas leichter zu nehmen. Trotzdem ziehe ich meine Show während der Zeit in Malawi noch einige Male ab. Überraschung ist immer garantiert. Aber tatsächlich gelingt es mir nicht ein einziges Mal, einen dieser Gelegenheitsbettler zu verärgern. Es bleibt die Hoffnung, dass sie wenigstens kapiert haben, dass ein Weißer nicht automatisch auch ein Dukatenscheißer ist.

Dr. Hastings Kamuzu Banda, den sie damals abwählten, wird inzwischen übrigens als Held verehrt. Sein Gesicht ziert die 1000-Kwacha-Note, sein Körper wurde einbalsamiert, man spricht nun wieder gut über ihn. Ist es Verklärung? - "Damals", so sagt mir ein 40jähriger Lehrer, "waren wir zwar auch arm, aber wir hatten das Nötigste, und nur die höchsten Mitglieder der Regierung waren reich. Heute gibt es mehr reiche Menschen, aber die Armen haben nicht immer genug zu essen."

Die Männer da drüben sitzen in Mozambique. Rechts der Grenzstein.

Südlich der Hauptstadt Lilongwe führt die Straße ab Dedza direkt an der Grenze zu Mozambique entlang. Im Abstand von einigen Hundert Metern sind Grenzsteine gepflanzt, die anzeigen, dass die Häuser auf der rechten Seite der Straße in Mozambique stehen. Die Straße und die Häuser links gehören zu Malawi. Natürlich gehe ich auch mal hinüber nach Mozambique. Ein tolles Gefühl, die 50 Dollar für das Visum gespart zu haben.

Dann geht es in vielen Serpentinen hinab in den Ostafrikanischen Grabenbruch, den hier der Malawisee ausfüllt. Er ist der drittgrößte See Afrikas (nach dem Lake Victoria und dem Lake Tanganyika). Mit einer Länge von rund 600 Kilometern und durchschnittlich 50 Kilometern Breite prägt er dieses kleine afrikanische Land. Auch Mozambique und Tanzania sind Anrainer, der größere Teil des Sees gehört jedoch Malawi.

Den schönsten aller Strände habe ich 1993 am Cape Maclear für mich entdeckt. Eine schmale Erdstraße führte 20 Kilometer dorthin, der Campingplatz "Golden Sands" war die einzige Unterkunft weit und breit. Kein Ziel für Pauschaltouristen. Die meisten anderen Camper waren ebenfalls auf langer Reise unterwegs durch Afrika, einige von ihnen hatte ich Monate zuvor im nördlichen Afrika schon kennengelernt. Ein paar Kilometer entfernt von "Golden Sands" lag das kleine Dorf Chembe. Jeden zweiten Tag machte ich mich zu Fuß auf den Weg dorthin, um Lebensmittel einzukaufen.

Mir ist klar, dass es ein Risiko ist, nach 23 Jahren zum Cape Maclear zurückzukehren. Enttäuschung ist programmiert. Immer haben sich solche Orte nach so langer Zeit in der eigenen Wahrnehmung zum Negativen entwickelt.

Chembe ist heute ein Touristenort, der ein wenig an die Strände von Goa erinnert. Mindestens zehn Lodges reihen sich nun am Ufer von Cape Maclear auf, Souvenir-Läden säumen die Sandstraße dahinter. Camping ist bei "Golden Sands" nicht mehr möglich, da dieser Strandabschnitt inzwischen ein Teil des Nationalparks ist.

Trotzdem keine Enttäuschung bei mir. Ich bleibe fünf Tage in einer der einfacheren Lodges. Es hat sich zwar viel verändert am Cape Maclear, aber die Nebenwirkungen auf die einheimische Bevölkerung halten sich in Grenzen. Natürlich möchten die Souvenirhändler ihre Sachen an dich verkaufen, doch sie sind verhältnismäßig unaufdringlich. Schon am zweiten Tag lassen sie dich in Ruhe, grüßen aber trotzdem noch freundlich. Und ausgerechnet hier betteln die Kinder nicht.

Fotograf Arnold Munthali mit seiner analogen Yashica-Spiegelreflexkamera, die mir sofort ins Auge stach, als er vorbeikam. Ich werde ihm eine meiner älteren digitalen Sucherkameras zuschicken lassen. Gespannt bin ich natürlich, ob sie bei ihm ankommt.

Nach diesem Umweg zum Cape Maclear hangele ich mich auf der Westseite des Malawisees hinauf nach Norden. Das Land ist für afrikanische Verhältnisse dicht besiedelt, Städte gibt es dennoch kaum. Auffallend sind die vielen Waisenheime überall. Die Eltern sterben weg, die Aidsrate liegt in Malawi bei 10 Prozent.

Einige Dörfer sind moslemisch geprägt, in einem Ort begegnen mir sogar komplettverschleierte Frauen, die Malawi nur durch ihre Augenschlitze sehen. Viele Moscheen hier, meist ist es die Einheitsmoschee mit einem kleinen Minarett wie aus dem Baukasten. Dann wieder gibt es viele Kirchen, einfache Hallen aus roten Backsteinen. Es sieht fast nach einem Wettbewerb der Missionare aus. Die Zeugen Jehovas sind ebenfalls gut vertreten.

Die Einheitsmoschee in Malawi

Genau an meinem Geburtstag läuft das Visum für Malawi aus. So verbringe ich zum ersten Mal auf dieser Reise den Geburtstag im Sattel. Fahre nördlich von Karonga über die Grenze nach Tanzania, klettere zwischen Bananenplantagen und Teefeldern hinauf ins 1600 Meter hoch gelegene Neu-Langenburg. Die deutsche Kolonialverwaltung hat den Ort 1899 gegründet. Heute heißt die Stadt Tukuyu. Angenehm kühl ist es hier, 1100 Meter tiefer ist es am See in den letzten Tagen drückend schwül geworden.

Durch Tanzania bin ich bei meiner ersten Afrikadurchquerung auf der Ostroute gefahren, während der zweiten Reise dann durch die Mitte des Landes via Dodoma. Im dünnen

Straßennetz Tanzanias bietet sich nun nur noch eine einzige weitere Route an: die durch den Westen parallel zum Tanganjikasee.

Wahrscheinlich stehen mir da allerdings harte Wochen bevor. Ich bin nicht einmal sicher, dass ich auf der Route via Sumbawanga und Mpanda nach Kigoma mit dem Fahrrad überhaupt durchkomme. Tiefer Sand und Tsetse-Fliegen scheinen in der Region am Tanganjikasee die größten Probleme zu sein. Mehr werde ich erst herausfinden, wenn ich nähergekommen bin.

 

Geplante Route durch den Westen Tanzanias (blaue Linie)

 
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