Das Paradies vor Panama

Mit dem Segelboot von Panama nach Kolumbien

28.5.2015 - Bucaramanga (44211 km)

Welches ist der westliche Ausgang des Panama-Kanals? Der Ausgang zum Pazifik oder der zum Atlantik? Eine überflüssige Frage, sollte man meinen, die Antwort ist doch klar. Denn schließlich breitet sich der Atlantik im Osten Amerikas aus, der Pazifik im Westen. Und trotzdem: Es ist der Ausgang zum Atlantik, der weiter westlich liegt!

Die "Puente de las Américas" über den Panama-Kanal bei Panama City

Grob betrachtet, verlaufen die amerikanischen Teilkontinente von Norden nach Süden. Mittelamerika jedoch windet sich, zieht sich zunächst von Nordwest nach Südost, Panama am Ende der Länderkette liegt schließlich "quer". Durch einen zusätzlichen Schwung neigt sich der schmale Landstreifen an der engsten Stelle sogar leicht in Richtung Norden. Die Mündung des Panamakanals in den Atlantik (bei Colon) liegt dadurch 50 Kilometer weiter westlich als die Mündung in den Pazifik (bei Panama City).

Der Staat Panama ist nicht viel älter als hundert Jahre. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts war Panama eine Provinz Kolumbiens, weit abgelegen im Nordwesten und getrennt vom Rest des Landes durch den dichten Darién-Dschungel (siehe letzten Bericht). Unabhängigkeitsbestrebungen dieser Provinz im Herbst 1903 wurden von den USA massiv unterstützt, und als sich die Separatisten durchgesetzt hatten, erkannten die USA Panama umgehend als souveränes Land an. US-Kriegsschiffe hinderten die kolumbianische Marine daran, die Kontrolle über den Landstrich zurückzugewinnen. Kolumbien akzeptierte den Status eines unabhängigen Panama erst 20 Jahre später.

In der Altstadt von Panama City

Es ist kein Geheimnis, dass das Interesse Nordamerikas an dieser Region durch den Isthmus von Panama geweckt wurde, zu einer Zeit, da der Bau eines Kanals zwischen den Ozeanen technisch realisierbar erschien. Schon seit Jahrhunderten gab es diese Idee: eine Wasserstraße, entweder quer durch Panama oder quer durch Nicaragua. (Die Nicaragua-Pläne wurden erst kürzlich wieder aufgegriffen, derzeit werden sie von Chinesen umgesetzt - siehe vorletzten Bericht).

Den Auftrag zum Bau eines Kanals durch Panama hatte bereits 1878 Kolumbien einer französischen Firma übertragen, der Firma, die erfolgreich den Suezkanal gegraben hatte. Der Bau begann 1881. Doch das Projekt in Mittelamerika war anspruchsvoller als das in Afrika - aufgrund der Höhenunterschiede, die zu überwinden waren, und besonders auch aufgrund des mörderischen Klimas. 22.000 Arbeiter starben an Malaria oder Gelbfieber - 15 Menschen alle zwei Tage -, bis das Projekt 1889 aufgegeben wurde.

Berittene Polizei in der Altstadt von Panama City

Nach der Abspaltung Panamas von Kolumbien kauften die USA umgehend die Rechte, den Bau fortzusetzen, und erhielten in dem Vertrag außerdem das Souveränitätsrecht über die "Canal Zone", den Landstreifen, der sich jeweils acht Kilometer weit nach Osten und nach Westen des Kanals ausbreitet. Innerhalb von zehn Jahren vollendeten die Amerikaner den Kanal, und am 15. August 1914 durchquerte das erste Schiff Panama.

 

 

 

 

Sicher ist sicher

Der andauernde Einfluss der USA durch die souveräne Kanalzone und wiederholte militärische Interventionen führte zu steigendem Missmut in Panama. Im Laufe der Zeit erkämpfte sich das zentralamerikanische Land immer mehr Rechte, und 1977 unterzeichnete Jimmy Carter einen Vertrag, durch den der Kanal ab dem Jahr 2000 vollständig an Panama überging. Er bildet nun einen wichtigen Pfeiler der panamaischen Wirtschaft. Die Gebühren für die Durchfahrt sind beträchtlich: Für große Containerschiffe werden mehrere Hunderttausend Dollar fällig. Im Kanalmuseum in Panama City erfährt man, dass die günstigste Durchquerung jedoch nur 0,36 Dollar gekostet hat. Die bezahlte 1928 der US-amerikanische Reiseschriftsteller Richard Halliburton dafür, dass er den Kanal durchschwimmen durfte.

Nach längerer Wartezeit in Panama City hat sich nun doch noch ein Weg über das Meer nach Kolumbien aufgetan. Die letzte Fähre nach Cartagena hatte ich knapp verpasst, angeblich wurde der Betrieb wegen "Saisonendes" eingestellt. Es gibt Gerüchte, dass die Fähre Verluste eingefahren hat; anderen Gerüchten zufolge haben Genehmigungen gefehlt. Die offizielle Version ist, dass der Betrieb im Oktober wieder aufgenommen wird. In der Zwischenzeit verkehrt das Schiff im Mittelmeer zwischen Italien und Kroatien.

Wie sich schließlich herausstellt, gibt es auch einige Segelboote, die regelmäßig nach Kolumbien fahren, selbst nach dem angeblichen Ende der Saison. Die Mitfahrt auf diesen Booten ist kommerzialisiert, sie pendeln zum Teil jahrelang zwischen Panama und Kolumbien. Dabei nehmen sie üblicherweise nicht den kürzesten Weg, sondern machen Zwischenstopps auf einigen Inseln vor der Küste Panamas. Dass der Bedarf auch zu dieser Jahreszeit hoch ist, zeigt die Zahl der Passagiere: Das Boot, das mich schließlich mitnimmt, ist mit 18 Passagieren voll belegt.

Kapitän Youyou (2. v.r.) bei der Sicherheitsbelehrung

 

Die "Wild Card" wird in einer Woche in Portobelo ablegen. Das kleine Städtchen an der Karibikküste war eine der ersten spanischen Siedlungen in Mittelamerika und mit seiner geschützten Bucht lange Zeit ein wichtiger Hafen in dieser Region. Nach dem Bau der Panama-Eisenbahn und später des Panama-Kanals verlor der Hafen seine Bedeutung.

Es gibt nicht viele Gegenden auf der Erde, in denen man in ein paar Stunden von einem Ozean zum anderen radeln kann. Hier geht das. Um 8 Uhr morgens starte ich am Pazifik in Panama City, fahre eine Weile am Kanal entlang nach Norden und komme am Nachmittag am Atlantik an. Portobelo liegt etwa 45 Kilometer nordöstlich der Wasserstraße.

Die "Wild Card" ankert bereits seit einigen Tagen in der Bucht. Ein 60-Fuß-Segelboot, das unter panamaischer Flagge läuft. Die Crew ist international: Youyou, der Kapitän aus Warschau, seine französische Freundin Axelle sowie der sehr vielseitige Kolumbianer Orinzon. Wir starten abends, nach einem kleinen Imbiss; und die Crew weiß sehr wohl, warum sie nur einen kleinen Imbiss reicht.

Salem vor seinem Bett - die untere Kiste ist meine.

 

In seinen einführenden Sicherheitshinweisen sagte Youyou, dass die See hier recht rauh ist. Beim Gang über das Deck solle man immer mit mindestens einer Hand Halt suchen, und während der Nacht dürfe sich niemand auf dem Deck aufhalten. Bisher sei noch keiner seiner Passagiere über Bord gegangen, und das solle auch so bleiben. Wenn nachts jemand über die Reling fällt, ist er praktisch verloren. Selbst wenn jemand den Vorfall unmittelbar bemerkt, ist die Rettung noch sehr schwierig.

Unsere erste Etappe führt an der Küste entlang nach Osten zum San Blas-Archipel. Ich habe vor einigen Stunden eine Tablette gegen Seekrankheit genommen, und die scheint zu wirken. Sie wirkt so gut, dass ich leichtsinnig werde und darauf verzichte, nach fünf Stunden die zweite Tablette einzuwerfen. Das rächt sich bitter.

Tret-, Achs- und Lenklager habe ich mit verknoteten Plastiktüten vor dem Salzwasser geschützt.

 

Nachts um halb drei wache ich in meiner schubladenartigen Koje auf. Es ist heiß unter Deck, ich muss raus aus meinem Schwitzkasten. Bei der Gelegenheit gehe ich aufs Klo. Dort ist es eng und noch heißer. Das Boot schwankt, der Schweiß bricht mir aus. Es regnet aus mir wie aus einer Wolke, nach kurzer Zeit ist der Boden nass. Ich übergebe mich. Gut, dass vor mir der Eimer für das gebrauchte Klopapier steht, sonst müsste ich aufwischen. Unter Deck halte ich es nicht mehr aus. Schnell hoch, an die Reling, noch einmal übergeben, direkt ins Meer. Der Wind zerstäubt, was ich auswürge. Hoffentlich hat unten niemand die Luke offenstehen. Und dann den Horizont beobachten, der sich auch in der Dunkelheit abzeichnet. Das hilft ein wenig, bewahrt mich aber nicht davor, immer wieder etwas von meinem Mageninhalt herzugeben. So oft, dass ich zum Schluss nur noch Luft kotze.

Ein Kuna winkt uns aus seinem Segelboot zu.

Die drei Stunden bis zum Sonnenaufgang stehe oder sitze ich immer in der Nähe der Reling. Wenig später ankern wir vor einer der San Blas-Inseln. Nach und nach kommen die Mitreisenden hinauf an Deck. Vielen von ihnen geht es auch nicht gut, aber so heftig wie mich hat es niemanden erwischt.

Nach dieser üblen Nacht beginnt der schöne Teil der Reise, der Besuch einiger Inseln des San Blas-Archipels. Drei Tage Karibikurlaub. Inseln aus weißem Sand, Palmen, die sich in alle möglichen Richtungen neigen, umgeben von blaugrün schimmerndem Wasser. Wir springen vom Boot, schwimmen, schnorcheln an Korallenriffen, trinken mit Rum angereicherte Kokosnüsse leer, machen auf unbewohnten Inseln Lagerfeuer, essen riesige Tintenfische.

Auf dieser Insel wohnt nur eine Familie.

Manitupu ist die einzige dicht besiedelte Insel, die wir besuchen, sie macht einen ärmlichen Eindruck. Ein älterer Mann, der ein paar Brocken Englisch spricht, führt uns durch die engen Wege zwischen den Bambushütten hindurch. Die Insel hat einen Durchmesser von etwa 150 Metern. Vor einigen Hütten verkaufen Frauen Kuna-typische Stickereien. Hier kommen nur selten Reisende vorbei, die meisten Boote fahren zu den großen Inseln, auf denen es auch Restaurants und einfache Hotels gibt. Youyou hat ganz bewusst Manitupu angesteuert. "Die reicheren Inseln haben genügend Besucher", sagt er.

Manitupu ...

... und der Sportplatz von Manitupu

 

Auf einer dieser reichen Inseln, auf El Porvenir, gibt es sogar einen Flugplatz. Die Kunafrauen schweben gelegentlich über das Wochenende mit kleinen Maschinen nach Panama City, um ihre Stickereien dort zu wesentlich höheren Preisen zu verkaufen. Sie pendeln zwischen den Jahrhunderten. Mir waren diese dunkelhäutigen, kleinwüchsigen Frauen mit ihren bunten Trachten in der Hauptstadt schon aufgefallen, aber ich hatte nicht gewusst, dass sie Kuna sind.

Bis vor 20 Jahren benutzten die Kuna kein Geld, sondern bezahlten hauptsächlich mit Kokosnüssen, erzählt Youyou. Auch heute noch sind die Kokosnüsse ein wichtiges Handelsgut. Der Preis wird jährlich in Ratssitzungen einheitlich für den Archipel festgelegt. Derzeit liegt er bei einem Dollar pro Nuss (der US-Dollar ist die offizielle Währung Panamas).

Die Kuna sind zwar Panamaer, haben sich aber weitgehende Autonomie erkämpft. Das Volk zählt 70.000 Menschen. Die Hälfte von ihnen lebt auf den Inseln, etwa 8000 besiedeln die dahinterliegende Küste. Auch diese Küstenorte sind nur mit dem Boot erreichbar, nicht etwa mit dem Straßennetz verbunden. Rund 25.000 Kuna leben in Panama City und anderen Teilen des Landes.

Eastern Lemon Cayes

Die Insel Coco Bandero

Die meisten der 365 Inseln des Archipels sind unbewohnt, einige sind so klein, dass nur zwei oder drei Palmen Platz haben. Am dritten Morgen ankern wir noch einmal, um auf einer weißen Insel den Rest des Tages zu verbringen. Ein paar Hütten stehen unter geschwungenen Palmen, eine Kuna-Familie lebt quasi als Hausmeister für ein paar Wochen hier. Jeder aus unserer Gruppe geht seinen eigenen Vorlieben nach. Die einen spielen Fußball, andere lesen oder liegen einfach faul in der Sonne. Zwischendurch kühlt man sich immer wieder im glasklaren Wasser ab. Krissy und Jordan aus Michigan werden diese Insel ganz bestimmt nie vergessen: Sie verloben sich hier.

Am Abend verlassen wir dieses kleine Paradies. Von hier aus werden wir auf direktem Weg durchfahren nach Cartagena, zwei Nächte und einen Tag. Diesmal nehme ich die Tabletten gegen Seekrankheit alle fünf Stunden. Die Fahrt durch die rauhe See ist kein Vergnügen, aber ich überstehe sie, ohne mich wieder übergeben zu müssen.

Krissy und Jordan vor der Skyline von Cartagena. Sie haben sich auf der kleinen Insel Coco Bandero verlobt.

Früh morgens kommen wir in Cartagena an. Die Wirkung der Tabletten lässt erst nach einem Tag nach. Als ich mich am nächsten Morgen beim Zähneputzen im Hostel über das Waschbecken beuge, beginnt plötzlich das ganze Badezimmer zu schwanken. Noch einmal wird mir schwindelig. Aber ich weiß ja: Ich bin in Cartagena, in Kolumbien, auf dem Festland. Jetzt ist alles gut.

Die ersten Meter in Südamerika (Foto: Sandra Butler)

Fast alles. Von Cartagena führt mein Weg noch 500 Kilometer durch die Tiefebene, bevor es bei Bucaramanga hinauf ins Hochland geht. In den tiefen Lagen ist es auch hier brütend heiß, wie in Costa Rica und in Panama. Ich sehne mich nach dem Andenhochland Kolumbiens. Als ich mit Bucaramanga die 1000-Meter-Grenze erreicht habe, wird das Klima angenehm. Keine 30 Grad mehr nachts, tagsüber muss ich nicht mehr allein schon beim Sitzen schwitzen. Jetzt ist wirklich alles gut.

 
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Maks

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