Der fliegende Cowboy

Durch das Death Valley nach Arizona und Utah

9.11.2014 - San Clemente / USA (34836 km)

Der Kampfjet kam angerast wie ein fliegendes Messer. 90 Grad auf die Seite gekippt und lautlos. Er flog so tief, dass ich Angst bekam. Ist das Absicht? Oder ist der Pilot in Not? Hat er den Flieger unter Kontrolle?

Er sauste über unsere Köpfe hinweg, betäubender Lärm folgte. Nein, der Pilot war nicht in Not - er spielte. Eine Stunde später sollte er (oder ein Spielgefährte von ihm?)  unter unseren Füßen an uns vorbeifliegen. Ehrlich!

Seit dem Morgen bin ich mit Russ McCoy unterwegs, wir haben uns gestern im Hostel in Lone Pine kennengelernt. Russ ist vor fünf Monaten mit seinem Fahrrad in New Mexico aufgebrochen, hinauf nach Kanada gefahren und dann an der US-Westküste zurück Richtung Süden. Die Durchquerung des Death Valley ist die letzte Etappe auf seiner Reise.

Wir haben heute viel Zeit. Die erste Wasserstelle auf dem Weg durchs Death Valley ist nur 85 Kilometer von Lone Pine entfernt, und bis zum nächsten Camp können wir es wegen eines langen steilen Anstieges hinter dem Panamint Valley heute nicht mehr schaffen.

Das Hostel in Lone Pine - links Russ McCoy.

So lassen wir es gemütlich angehen, fotografieren viel und machen ausgedehnte Pausen. So auch an einem Aussichtspunkt oberhalb des Panamint Valley. Und hier kommt zum zweiten Mal ein Kampfjet angeschossen. Wieder auf der Seite liegend, taucht er diesmal ab in einen Seiten-Canyon, in den wir von unserem Aussichtsplateau hinabblicken. Der Canyon ist so eng und tief, dass wir den Jet schon nach wenigen Sekunden nicht mehr sehen können. Wir hören aber auch keine Explosion. Nur eine Lärmspur, die nach Norden führt. Der Pilot hat überlebt. Er hat ein Kunststück überlebt, das schier unmöglich scheint.

Das Aussichtsplateau über dem Panamint Valley. HInter der Bergkette liegt das Death Valley.

In Panamint Springs - unten im Tal - kommen wir nachmittags um drei Uhr an. Das Panamint Valley liegt ca. 400 Meter oberhalb des Meeresspiegels, aber es ist schon hier unangenehm heiß. Es gibt eine Tankstelle mit einem winzigen Shop, ein Restaurant, ein paar teure Hotelzimmer und einen einfachen Zeltplatz, der aber immerhin fließendes Wasser und sogar eine Dusche bietet.

Die Sonne geht an diesem Abend in einem großartigen Farbenspiel unter. Die Nacht wird klar und einigermaßen kühl, über uns breitet sich ein funkelnder Sternenteppich aus. Wir holen ein paar Dosen Bier aus dem Restaurant, sitzen bei erholsamen Temperaturen auf der Bankgarnitur vor unseren Zelten und quatschen noch eine Weile, besprechen vor allem die Pläne für den kommenden Tag. Wegen des 1100-Meter-Aufstiegs wird es bei 40 Grad Hitze ein hartes Stück Arbeit werden. Wir wollen möglichst noch vor Sonnenaufgang starten, um den langen, steilen Anstieg bei erträglichen Temperaturen hinter uns zu bringen.

Blick zurück nach Panamint Springs

 

 

Die Straße ist so steil, dass ich das Rad, das mit Gepäck und den zusätzlichen Wasservorräten jetzt 65 Kilogramm auf die Waage bringt, die meiste Zeit schiebe. Drei Stunden lang. Russ wuchtet sein nicht ganz so schwer beladenes Fahrrad in den Pedalen bis zum Towne-Pass hinauf, wobei er nur unwesentlich schneller ist. Um den einen Kilometer aufzuholen, den ich am Morgen Vorsprung habe, braucht er eine Stunde.

Nach drei Stunden stehen wir oben am Pass, nun wieder mehr als 1500 Meter über dem Meer. Es folgt eine schier endlose Abfahrt mit einem kurzen Stopp an der Wasserquelle bei Emigrant und einer längeren Pause in der kleinen Siedlung Stovepipe Wells. Hier markiert ein Schild, dass wir nun unter den Meeresspiegel abtauchen werden. Kurz danach warnt in weiteres Schild: "EXTREME Heat Danger".

Russ McCoy, mit dem ich zwischen Lone Pine und Las Vegas unterwegs bin.

 

 

Der tiefste Punkt Nordamerikas und der höchste Gipfel der "Contiguous USA" (das sind die "zusammenhängenden Vereinigten Staaten", das Gebiet zwischen Kanada im Norden und Mexiko im Süden - also die USA ohne Alaska, ohne Hawaii und weitere Inselgebiete) liegen gerade einmal 136 Kilometer voneinander entfernt: das salzige "Badwater Basin" im Death Valley, das 86 Meter unter dem Meeresspiegel liegt, und Mount Whitney mit 4421 Metern Gipfelhöhe, westlich von Lone Pine. Badwater galt sogar als tiefster Punkt der gesamten westlichen Hemisphäre, bis man entdeckte, dass die Laguna del Carbon in Argentinien noch einmal 20 Meter tiefer liegt. Badwater heißt natürlich deswegen "Badwater", weil das Wasser wegen des extrem hohen Salzgehaltes ungenießbar ist.

Durch klammernde Hitze radeln wir 40 Kilometer lang unter dem Meeresspiegel zur "Hauptstadt" des Death Valley, nach Furnace Creek. Links steigt eine kahle Bergflanke auf, rechts der Straße verläuft eine wüste Ebene, in der sich in den tieferen Lagen weißes Salz abgesetzt hat.

Es sieht nur so aus, als würde Russ hier durch eine große Pfütze fahren. Er radelt durch Luftspiegelungen.

Auch Furnace Creek ist im Wesentlichen ein künstliches Dorf, mit einem noblen Resort und einem teuren Shop, an dem wir uns im Schatten erholen. Während ich mich mit Zweckpessimismus mental auf den morgigen Tag einstelle, frage ich Russ, wie wir denn den bevorstehenden Aufstieg überleben wollen. Die Steigung ist ähnlich lang wie die heutige, beginnt aber in größerer Hitze bei 50 Metern unter dem Meer. Russ ist kurz angebunden: "Ich will jetzt erstmal nur mein Eis essen!"

Joshua Tree oberhalb des Death Valley

 

 

Seine gereizte Reaktion bremst meinen Redefluss für den Rest des Tages. Russ hat beim Aufstieg zum Pass heute Morgen Unglaubliches geleistet, indem er immer im Sattel geblieben ist. Aber er hat sich dabei verausgabt, wie er später sagt. In der kochenden Ebene hat er nun sehr gelitten.

Wir übernachten auf einem Campground in Furnace Creek. Am Morgen bauen wir unsere Zelte wieder bei Dunkelheit ab und starten kurz vor Sonnenaufgang. Hinter Furnace Creek warnt ein Schild am Straßenrand, dass es auf den nächsten 90 Kilometern keine Versorgungsmöglichkeiten gibt. Doch in dem einsamen Hotel in Death Valley Junction können wir nach 50 Kilometern wenigstens Wasser nachfüllen. Und da sind wir aus der größten Hitze auch schon wieder heraus.

Kurz vor Las Vegas trennen sich am nächsten Tag unsere Wege. Wirklich schade, wir hätten es noch eine ganze Weile miteinander ausgehalten.

 

In Davis, der Radfahrerstadt nahe Sacramento, hatte ich Steve Tracy kennengelernt. Organisiert von Ulrike und Tom, hatte er mir eine ausgedehnte Führung durch die Stadt geboten (siehe Bericht "Aufgeweckt"). Als er erfuhr, dass mein Weg im Süden der USA durch Utah führen sollte, wurde er hellwach: Utah! Sein Lieblingsstaat, den er mindestens einmal im Jahr besucht. Nur ausgerechnet dieses Jahr hat es noch nicht geklappt. Steve beschloss, mir zu gegebener Zeit nachzufahren und mich dann mit dem Auto zu begleiten. Wir dachten dabei an den weiten Bogen über Escalante bis in den äußersten Osten Utahs.

Durch verschiedene Verzögerungen - unter anderem durch die Wartezeit vor dem Tioga-Pass wegen des schlechten Wetters - ist inzwischen allerdings die Zeit für mich knapp geworden. Ich habe eine feste Verabredung am Grand Canyon, dort wird mein Erlanger Freund Wolfgang in zwei Wochen mit dem Fahrrad eintreffen.

Nachdem Steve mich kurz hinter Las Vegas mit seinem Mercedes Sprinter eingeholt hat, gibt es zwei Möglichkeiten: Trotz der knappen Zeit die große Runde radeln - doch bliebe dann keine Zeit für Abstecher und Wanderungen durch die phantastische Natur. Oder mit dem Fahrrad die Abkürzung über Kanab und Page zu nehmen, es zwischendurch für ein paar Tage zu parken und zusammen mit Steve die größere Runde zu drehen. Wir entscheiden uns für die zweite Variante und stellen das Rad bei einem Freund von Steve, dem Ranger Tom Christensen, in Kanab ab.

Das war eine sehr gute Entscheidung. Ich hätte sonst in Utah viel verpasst.

Steve hat mich kurz hinter Las Vegas eingeholt und begleitet mich mit seinem Mercedes Sprinter drei Tage bis nach Kanab. Dort parke ich mein Fahrrad in der Ranger Station und fahre mit Steve eine große Runde durch Utah.

Während ich noch mit dem Fahrrad durch den Zion National Park fahre, sammelt Steve die französischen Traveller Sixtine (links) und Maclo auf.

 

 

 

 

 

 

Mit Maclo und Sixtine auf einer Wanderung durch den Bryce Canyon

Unser Camp beim Abstecher in die Hole in the rock mit phantastischen Slot Canyons (siehe unten).

Am nächsten Morgen geht es in die Slot Canyons Peek a boo und Spooky. Dabei fangen wir noch einen weiteren Traveller ein, Danny aus den USA. Steve genießt seine Aufgabe als Guide sichtlich.

Einstieg in den Slot Canyon Peek a boo. Hier breche ich mir bei einer unglücklichen Aktion eine oder zwei Rippen. Steve hört das Knacken aus zwei Metern Entfernung. Es ist bereits der zweite Rippenbruch auf dieser Reise, nachdem ich in Tashkent schwungvoll gegen eine Tür gelaufen bin, die sich unerwartet schwer öffnen ließ.

An einigen Stellen sind die Slot Canyons so eng, dass stark übergewichtige Menschen umkehren müssen.

Puh - endlich wieder Platz zum Atmen!

Devil's Garden erinnert ein bisschen an Kappadokien

Auf dem Weg zu den Moonhouse-Ruinen, die rund 800 Jahre alt sind.

San Juan Canyon

Monument Valley


Vielen Dank, Steve, für diese großartige Tour!


 
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