Interview für den Fahrrad-Weltführer

25.8.2016

(Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Reise Know-How Verlages)

Für den Fahrrad-Weltführer, der im August 2016 in der 4. Auflage im Reise Know-How Verlag erschienen ist, führte der Autor Thomas Schröder mit mir vor einigen Monaten das folgende Interview.

 

Zum Warmwerden: Wie bist du zum Radreisen gekommen?

Zu meiner ersten Radtour bin ich vor fast 40 Jahren gestartet, als ich noch in der Schule war. Ein dreiwöchiger Trip von Norddeutschland nach Schweden zusammen mit einem Schulfreund. Das war damals eine ziemlich spontane Idee von uns und übrigens die einzige Tour, die ich nicht allein unternommen habe.

Danach wurden die Radreisen immer länger. Erst führten sie nach Südwesteuropa – nach Liechtenstein, nach Monaco und 1982 zur Fußball-WM in Spanien –, dann mehrmals durch Südosteuropa. 1985 habe ich zum ersten Mal Europa verlassen: über die Bosporusbrücke nach Asien. Von dort ging es weiter durch den Nahen Osten nach Nordafrika. Auf dieser Reise habe ich Afrika als meinen Lieblings-Kontinent entdeckt. Ich musste also wieder aufbrechen, 1988 nach Westafrika und 1992/93 zur langen Tour von Erlangen nach Kapstadt. Die Weltumradlung von 2000 bis 2004 war dann quasi die logische Folge.

 

Zum Träumen: Du bist ja jetzt schon auf deiner zweiten Welt-Tour und hast „alles“ gesehen. Gibt es Länder oder Regionen, die dir besonders gut gefallen haben und wo du sagen könntest: „Da will ich unbedingt nochmal hin?“

Die Weltgegenden sind so unterschiedlich, dass es kein bestes Land, keinen schönsten Ort gibt. Aber es gibt eine persönliche Hitliste: Da gehört der Jemen dazu (wegen der rauen Menschen und der Lehmarchitektur), Namibia (wegen der Wüste), Bolivien (weil es das am wenigsten entwickelte Land in Südamerika ist), Myanmar (wegen der herzenswarmen Menschen – ändert sich leider mit der Öffnung des Landes etwas), Iran (Kultur, äußerst freundliche Menschen), Kolumbien und Mexiko (auch sehr freundliche Menschen), Äthiopien (Landschaft und Kultur).

 

Zum Ziel: Ist dir das „Prinzip Weltumrundung“ immer wichtig gewesen? Oder hättest du dir auch eine Reise vorstellen können, die an einem bestimmten Punkt endet?

Vor der Haustür zu starten und vor der Haustür anzukommen – das war mir bei der ersten Erdumrundung 2000-2004 ganz besonders wichtig. Und keine "Heimaturlaube" zu machen, genau wie es zu Helfgens Zeiten war, als ein Flug praktisch unerschwinglich war. Wenn du etwa durch Afrika radelst, dann leidest du auch unter der schlechten Versorgungslage. Wie will man denn den Kontinent verstehen, wenn man zwischendurch dreimal heimfliegt? Da kann man sich zu Hause wieder vollfressen und prima erholt nach Afrika zurückkehren – dann durchquert man Afrika nicht, sondern macht eigentlich nur viermal Urlaub in Afrika.

Mein Prinzip einer Weltumradlung ist einfach: radeln, wo immer man radeln kann, keine unnötigen Pickup-, Bus- oder Eisenbahnfahrten. Zwischen den Kontinenten wird es natürlich schwierig mit dem Radeln, da versuche ich aber, Flüge zu vermeiden, um langsam weiterzureisen. Auf der ersten Weltumradlung ist mir das nicht ganz gelungen. Von Afrika nach Südamerika bin ich fünf Wochen gesegelt, aber nach Neuseeland musste ich dann fliegen. Auf dieser zweiten Weltumradlung könnte es nun ganz ohne ein Abheben von Mutter Erde klappen.

Einige frühere Touren endeten aber irgendwo im Ausland, z.B. in Lomé (Togo) oder in Kapstadt. Außerdem habe ich mehrere Reisen durch Äthiopien und Somaliland unternommen, die nur ein paar Wochen dauerten, weil ich fest im Berufsleben stand. Ich bin also mit dem Flugzeug an- und abgereist. In Zukunft werde ich vermutlich auch eher kürzere Touren unternehmen. Eine echte Weltumradlung ist ja ziemlich zeitaufwendig.

 

Zum Erfahren: Was hat dich unterwegs am meisten beeindruckt?

Immer wieder beeindruckend ist weltweit die Gastfreundschaft von Menschen, die nur wenig besitzen. Diese Leute – und außerdem Menschen, die in dünnbesiedelten Gebieten wohnen – können sich am besten in die Lage eines Vagabunden versetzen.

Auch die Zufriedenheit dieser eher armen und einfachen Menschen ist erstaunlich. Ich will nicht behaupten, dass man arm sein muss, um zufrieden zu sein. Eine gewisse Wohlstandsstufe ist schon notwendig, um einigermaßen sorgenfrei zu leben. Aber ein zu großer Reichtum hat auch seine Nachteile: Man hat viel zu verlieren und dementsprechende Ängste. Eben auch vor fremden Menschen, die man dann lieber nicht ins Haus einlädt. Und man kann sich nicht mehr so leicht in die Lage von Menschen versetzen, die Hilfe brauchen können.

Umgekehrt ist es sehr wertvoll, auf einer langen Reise zu erkennen, mit wie wenig man selbst auskommen kann.

 

Zum Leben: Du bist fast immer alleine unterwegs. Das hat sicher seine Gründe?

Die Unabhängigkeit ist mir sehr wichtig. Allein unterwegs kann ich spontan entscheiden, welchen Weg ich einschlage. Manchmal wirklich erst im letzten Moment. Ich kann auch sagen: "Hier mache ich Schluss für heute" oder "hier bleibe ich ein paar Tage länger".

Noch ein wichtiger Aspekt: Nur allein habe ich die Möglichkeit, auch mal gefährlichere Gegenden zu durchradeln. Wäre ich damals nicht allein gewesen, wäre ich bestimmt nicht durch Afghanistan gefahren, weil ich einen Reisepartner nicht in dieses gefährliche Unternehmen hätte mit hineinziehen wollen.

Ein weiterer Vorteil des Alleinreisenden: Man wird öfter von den Einheimischen angesprochen. Zu zweit ist man schon eine kleine Gruppe, ein bisschen mehr abgekapselt. Und umgekehrt ist man auch mehr im aktiven Kontakt zu den Bewohnern, weil man ja keinen Ansprechpartner in der Nähe hat, mit dem man sich bequem auf Deutsch unterhalten kann.

Natürlich gibt es auch Nachteile: Man kann die Erlebnisse nicht unmittelbar teilen, eventuell kommt Einsamkeit auf, man kann Aufgaben und Ausrüstung nicht auf mehrere Personen aufteilen. Alles in allem überwiegen für mich aber die Vorteile des Alleinreisens.

 

Zum Prinzip Heimat: Hast du deine Reisen nicht manchmal auch als Stress empfunden und gedacht: „Jetzt wäre ich doch lieber daheim…“?

Stress hatte ich immer mal wieder. Aber das hat nie dazu geführt, dass ich Heimweh bekam. Eher dachte ich: "Hätte ich diesen Abschnitt doch nur schon hinter mir." Zum Beispiel in Afghanistan, wo mich in einigen Orten Fanatiker jagten. Oder in Botswana, wo mein Weg durch Elefantengruppen führte. Oder auch in der hochsommerlichen Gluthitze des Outback. Da wollte ich jeweils lieber anderswo sein – allerdings nicht zu Hause.

 

Zur Sicherheit: Bist du manchmal in brenzlige Situationen gekommen?

Oh ja, des öfteren! Im Frühjahr 2001 kam es in Addis Abeba nach einem Fußballspiel während der Afrikameisterschaften zu schweren Ausschreitungen. Ich war im Stadtzentrum unterwegs und von einem Moment auf den anderen als Ausländer vogelfrei. Lynchstimmung kam auf. Nach einer ersten Attacke konnte ich mich in eine Bar retten, wo mich freundliche Äthiopier für zwei Stunden versteckten. An diesem Nachmittag kamen auf den Straßen der Hauptstadt 30 Menschen ums Leben.

Ein paar Monate später rannte in Botswana ein aufgebrachter Elefant hinter mir her. Elefanten können schnell sein, 40 km/h, wenn auch nur für einen kurzen Sprint. In diesem Moment dachte ich: Jetzt ist es mit mir zu Ende. Es gab auf der Reise weitere lebensgefährliche Situationen in Bolivien und in Afghanistan.

Auf der aktuellen Reise war der dramatischste Moment ein Überfall in Managua, bei der zwei Angreifer mit einer Machete kamen. Auch das ist am Ende gut ausgegangen, allerdings litt ich wochenlang noch unter einem leichten Trauma.

 

Zu deinem Fahrrad: Kannst du uns es bitte kurz vorstellen: Welche Komponenten hast du gewählt und warum?

Zum ersten Mal bin ich mit einem 26-Zoll-Reiserad unterwegs. Bisher habe ich 28-Zoll-Räder vorgezogen, weil sie einfach leichter rollen. Auf der ersten Weltumradlung hatte ich jedoch gelegentlich Probleme, Ersatzteile zu bekommen, z.B. in Brasilien, wo es (außer für Rennräder) nur Material für 26 Zoll gab.

Insgesamt ist ein 26-Zoll-Fahrrad auch stabiler. Das Rad ist ein Patria "Terra" mit einem Stahlrahmen. Nach den guten Erfahrungen auf der ersten langen Reise war klar, dass für den Antrieb wieder eine Rohloff-Nabe her musste. Um in weiten Ländern wie Kasachstan, Kanada, Bolivien oder Chile mein elektronisches Spielzeug aufladen zu können (Tablett, GPS usw.), habe ich einen Nabendynamo eingebaut (SON 28) und den "Forumslader" dabei (siehe im Radreise-Forum).

Mehr zur Ausrüstung ist auf meiner Homepage zu finden (www.tour-de-friends.de).

 

Zum Mitfühlen: Gab es größere Pannen unterwegs und falls ja, welche?

Mir ist zum Glück nie ein Rahmen gebrochen, auch keine Felge. Brüche der Alu-Low Rider (auf der ersten Weltumradlung) habe ich schienen können. Aus der Tour habe ich aber auch die Lehre gezogen, dass Stahl das geeignete Material für eine lange Tour in Weltgegenden mit schlechter Versorgung ist. Alles, was auf der Reise gebrochen ist, war aus Alu. Der am meisten lästige Schaden war damals der Flanschbruch der Rohloff-Nabe im Norden Chiles. Ich konnte aber improvisieren und 1000 Kilometer bis nach Santiago fahren, wohin mir Rohloff ein neues Nabengehäuse schickte.

 

Zum Finanziellen – vielleicht eine indiskrete Frage: Wie „finanziert“ man am besten eine solche Tour? Du hast ja ein recht erfolgreiches Buch über deine erste Tour geschrieben. Könnte man von seinen Reisen auch leben? Hast du Sponsoren?

Eigentlich führe ich zwei völlig unterschiedliche Leben: Mal fahre ich jahrelang mit dem Fahrrad um die Welt, dann sitze ich wieder jahrelang in einem Büro vor dem Computer und entwickele Software. Das zweite Leben finanziert das erste. Solange ich arbeite, versuche ich, möglichst viel Geld zu sparen, um dann auf meinen langen Reisen unabhängig zu sein.

Natürlich kann man auch unterwegs arbeiten, aber das lohnt sich eigentlich nur in Ländern wie Australien, Neuseeland, den USA, Kanada. Würde man etwa in Vietnam arbeiten, würde man mit dem Verdienst in der Regel gerade einmal über den Tag kommen. Wenn wir ehrlich mit uns sind: Wir Weltreisende machen das gleiche wie die Firmen, die Billiglöhne in ärmeren Ländern nutzen, um in der westlichen Welt hohe Gewinne zu erzielen. Wir profitieren auf unseren Weltreisen davon, dass die mitteleuropäischen Staaten Hochlohnländer sind und wir in Afrika und Asien mit einem verdienten Euro zwei- bis dreimal soviel kaufen können wie in Europa.

Hauptsächlich lebe ich auf meinen Reisen also von Erspartem. In meinem ersten Leben (als Reisender) bin ich aber auch Journalist und veröffentliche Fotos und Berichte. Auf der Weltumradlung 2000-2004 hat die "Nürnberger Zeitung" alle zwei Wochen einen ganzseitigen Etappenbericht abgedruckt. 116 Folgen! Das hat nicht einmal Heinz Helfgen geschafft  :-)  – Das Honorar hat damals immerhin die Hälfte der Reisekosten gedeckt. Nach der Tour kamen das Buch "Rad ab!", Artikel in verschiedenen Magazinen und Vorträge. Das alles zusammen besserte die Reisekasse für die aktuelle Reise auf.

Von meinen Reiseberichten zu leben, versuche ich aber nicht. Dann wäre es bald kein wirkliches Reisen mehr. Ich müsste meine Ziele auch nach dem Aspekt ausrichten "Was lässt sich zu Hause am besten verkaufen?" In der Vortragsszene kam es schon vor, dass ein Referent sein Jakobsweg-"Abenteuer" den Vortragsveranstaltern als Multivision anbot, bevor er die Reise überhaupt gemacht hatte.

Als Profi-Abenteurer müsste ich reisen, wenn ich es vielleicht gerade gar nicht will, um neuen Stoff für neue Veröffentlichungen zu sammeln. Man ist dann immer weniger ein Reisender und wird immer mehr zum Produzenten.

Zu den Sponsoren: Ja, ich habe einige sehr gute Sponsoren. Das sind alles Firmen, für die ich mich sehr bewusst entschieden habe. Es geht dabei aber nur um Material-Sponsoring, es fließt kein bares Geld. Die Zusammenarbeit macht mir viel Spaß. Ziel ist es ja nicht, mal schnell bei den Firmen Produkte abzugreifen und sie dann in den Veröffentlichungen schönzureden. Der wichtigste Aspekt ist, Schwachstellen an den Produkten zu erkennen und dementsprechend Feedback an die Hersteller zu geben. Auch gute Fotos sind natürlich willkommen.

 

Zum Wissen: Dein ultimativer Tipp für das Reisen mit dem Fahrrad?

Tu es! Pack deine Sachen und entdecke unseren wunderbaren Planeten vom Fahrradsattel aus.

Aber starte mit kleineren Touren, um erst einmal eigene Erfahrungen zu sammeln. Wage dich dann mit diesen Erfahrungen an die ferneren Länder heran. Schon sehr, sehr viele Träumer wollten - quasi aus dem Stand heraus - zur ganz großen Tour mit dem Fahrrad um die Erde starten. Zu Hause im warmen Wohnzimmer, auf der gemütlichen Couch, kann man über der Landkarte ganz leicht die tollsten Pläne schmieden. Aber die wirkliche Welt ist größer und weiter und rauer, als man denkt. Viele haben schon in den ersten Wochen festgestellt, dass eine lange Reise gar nichts für sie ist, dass sie etwa Heimweh bekommen. Andere haben Probleme mit der Weite der leeren Länder bekommen, zum Beispiel mit den endlos langen geraden Straßen durch den Iran. In den seltensten Fallen waren die Beine müde, wenn sie aufgaben, fast immer kam die Blockade im Kopf. Daher mein Rat: Steigere dich langsam.

Und noch etwas: Vertraue dann nach den kleineren Touren auf deine eigenen Erfahrungen. Höre nicht auf die Warnungen von Menschen, die die Welt nur aus dem Fernseher kennen.

 

Zum Nachdenken: Was ist schwerer: Losfahren oder Wiederkommen?

Das ist wirklich eine sehr, sehr berechtigte Frage. Der Start zu einer jahrelangen Tour (ohne "Heimaturlaube" zwischendurch) ist schwer. Du verlässt deine Familie und deine Freunde für sehr lange Zeit. Du hast deinen Job aufgegeben und weißt nicht, ob du jemals wieder in diesen Beruf zurückkehren wirst. Jedenfalls nicht, wenn du einen technischen Beruf hast und über 40 bist. Das Losfahren ist also nicht leicht.

Aber das Zurückkehren ist noch schwerer. Selbst wenn du dich langsam radelnd der Heimat wieder näherst. Eigenartiges, hektisches, fremd gewordenes Mitteleuropa. Dort herrschen Konsumrausch und Zeitmangel – das ist mir 2004 nach der Rückkehr besonders aufgefallen. Die Leute fragen, wie es denn war auf der vierjährigen Reise, aber du musst schnell sein mit der Antwort, denn viel Zeit haben sie nicht.

Man kann den "umgekehrten Kulturschock" lindern, wenn man die positiven Seiten daheim betrachtet, wenn man sich bewusst macht, dass Mitteleuropa auch viele Vorteile hat: eine gesegnete Natur (keine Erdbeben, keine Vulkanausbrüche, keine wirkliche Dürre, Wirbelstürme, Tsunamis, ...), und die Mitteleuropäer haben ein wesentlich größeres Umweltbewusstsein als die Bewohner in den meisten anderen Ländern der Welt.

Eine gute Idee ist es übrigens, im Frühjahr oder im Sommer zurückzukehren, jedenfalls den tristen Spätherbst zu meiden, denn die Depressionsgefahr ist nach der Rückkehr schon ohne den Novembernebel groß genug.

 

Zum Abschluss: Was hast du als nächstes geplant? Könntest du dir auch noch eine „Dritte Runde“ vorstellen?

Was nach meiner Rückkehr von dieser zweiten Weltumradlung passiert, ist sehr ungewiss. Ich würde gern noch ein paar Jahre in meinem Beruf als Software-Entwickler arbeiten. Sonst hätte sich ja das neun Jahre lange Bummelstudium nicht gelohnt :-)  Ob ich dann mit vielleicht 65 Jahren zu einer dritten Runde starten kann, ist fraglich. Schon jetzt zwicken Ischias und Bandscheiben, blockieren gelegentlich die Knie, brennen die Füße und schlafen die Hände immer öfter ein. Wenn ich es mir finanziell leisten kann, mache ich vielleicht ein bequemes Hopping um den Globus mit einem Faltrad und anderen Verkehrsmitteln, um nur noch die einfacheren Teilstrecken um unseren Planeten zu beradeln.

 

Maks

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