Sicher? Ist der Tod.

Durch Mittelamerika

18.3.2015 - Managua / Nicaragua (41980 km)

Belize, Belize - wo liegt denn gleich wieder Belize?

Um ehrlich zu sein: Bevor ich nach Nordamerika kam und den weiteren Weg Richtung Süden plante, wusste ich nicht genau, wo das Land auf der Weltkarte zu finden ist. Hätte mir jemand erzählt, Belize sei eine Insel in der Karibik, hätte ich das geglaubt.

Nach drei Monaten in Mexiko reise ich heute aus - nach Belize. Und plötzlich bin ich in der Karibik. Allerdings nicht auf einer Insel, sondern immer noch auf dem Festland, südlich der mexikanischen Yucatan-Halbinsel. Aber trotzdem unvermittelt in einer ganz anderen Welt: mit Reggae-Musik auf den Straßen und vielen Männern, die mit ihren Rastalocken aussehen wie Bob Marley. Sie sind cool drauf - life's easy!

Bis 1973 war Belize "British Honduras". Das Land blieb aber weiterhin eine britische Kolonie und erlangte erst 1981 die Unabhängigkeit, um einige Jahre verzögert, weil Guatemala Gebietsansprüche hatte. Belize ist etwas größer als Hessen, hat jedoch nur 330.000 Einwohner. Während alle Länder im weiten Umkreis spanischsprachig sind, ist hier Englisch die Amtssprache. Bei dem bunten Völkergemisch des Landes gibt es etliche weitere Sprachen, unter anderem Kreolisch, das zwar dem Englischen ähnelt, aber trotzdem kaum zu verstehen ist, vor allem, wenn es schnell gesprochen wird.

Kreolisch Deutsch
Gud maanin. Guten Morgen.
Weh yu naym? Wie heißt Du?
Da how yu di du? Wie geht's Dir?
Aarait. Gut / In Ordnung.
Meh no andastan. Ich verstehe nicht.
Ih no mata. Das macht nichts.
Humoch dis kaas? Wie viel kostet das?

Das funktioniert leider nicht immer so in Belize.

So gering die Bevölkerungsdichte ist, so dünn ist das Verkehrsaufkommen. Nur alle paar Minuten taucht ein Auto auf dieser einzigen Straße auf, die Mexiko via Belize mit Guatemala verbindet. Sie führt durch tropische Landschaft, mit weiten Zuckerrohrfeldern rechts und links. Die überholenden Autos könnten in dieser Einsamkeit völlig problemlos einen weiten Bogen um mich machen. Aber entweder träumen die Fahrer, sind sie bekifft oder besoffen - jedenfalls rauschen sie oft mit nur einem halben Meter Abstand an mir vorbei. Manche wachen kurz nach dem Überholen auf und steuern dann plötzlich ihr Fahrzeug Richtung Straßenmitte.

Belize ist teuer, sauteuer. Kommt man direkt aus Europa hierher, fällt es vielleicht nicht so auf. Aber der Kontrast zu Mexiko ist heftig. Die hohen Kosten sind ein guter Grund für mich, schnell durchzufahren. Außerdem wird mich mein Bruder Max in wenigen Wochen in Nicaragua besuchen, und da möchte ich nicht einen einzigen Tag zu spät in Managua ankommen. Die Zeit, die noch bleibt, werde ich mir lieber für einen Besuch der Maya-Ruinen von Tikal in Guatemala nehmen. Bevor ich verinnerlicht habe, dass man sich in Belize prima auf Englisch unterhalten kann (ich grüße immer wieder versehentlich auf Spanisch), bin ich auch schon wieder ausgereist - 47 Stunden nach der Einreise.

Sonnenaufgang in Tikal. Morgens ist es noch erstaunlich kühl. Der Nebel tropft aus den Bäumen des Regenwaldes. Brüllaffen stöhnen in den Baumkronen wie brüllende Rinderbullen, Eidechsen huschen über die Steine der Ruinen, Vögel zetern um die Wette. Das alte Tikal selbst, die Ruinen, sind stumm. Sie waren lange vom Regenwald überwuchert und werden nach und nach wieder freigelegt. Graue Steinblöcke, aufeinandergeschichtet zu steilen Pyramiden, zu verwinkelten Wohnkomplexen, zu kleinen Ballsportanlagen, auf denen die Akteure nicht selten um ihre Existenz gespielt haben. Die Verlierer verloren mit dem Spiel oft auch ihr Leben. Die Mayas haben hier, wie die Geschichte schreibt, geopfert. Heute könnte man eher sagen, sie haben grausam gemordet.

Auf dem Weg durch Guatemala wird es heißer und heißer, die Luft wird immer feuchter. Solange es eben ist, bringt der Fahrtwind etwas Kühlung, aber an den Steigungen schmelze ich förmlich. Hemd und Hose sind ständig klatschnass. Der Schweiß läuft an den Unterarmen ab und tränkt die Handgriffe. Was die Handgriffe nicht mehr aufnehmen, tropft auf die Packtaschen. Einen Tag bevor ich die höheren und vergleichsweise kühlen Regionen um Guatemala City erreiche, wird es so heiß, dass ich schon mittags Krämpfe bekomme. Radeln geht nicht mehr. Sobald ich das Bein anwinkle, ist der Krampf im hinteren Oberschenkel da. Ich schiebe das Fahrrad die letzten acht Kilometer bis nach Guastatoya, wo ich eine Druckbetankung mit Elektrolytlösung und Rinderbrühe vornehme.

Flores am Lago Peten Itza in Nordost-Guatemala. Nicht weit von hier liegt Tikal.

Das scheint zu helfen. Die knapp 2000 Höhenmeter am nächsten Tag überstehe ich ohne weitere Krämpfe. Leider geht es nicht nur bergauf, es gibt auch immer wieder langgezogene Abfahrten. Sehr ärgerlich, denn ich wollte natürlich so schnell wie möglich in die kühleren Berge klettern. Bis zum Mittag bin ich aber über 1000 Meter hoch und damit aus dem Gröbsten raus.

Die Außenbezirke von Guatemala City wirken finster. Ich habe den Eindruck, dass bei einem Überfall auf mich die Umstehenden wohl nicht helfend eingreifen würden. Alles ist hektisch und vor allem anonym. Nein, hier würde sich niemand einmischen, wenn etwas passieren sollte.

Dieses Geschäft ist offen. Bedient wird man durch die Gitterstäbe. Wenn der Laden schließt, fällt ein zusätzlicher Rollladen.

Im Stadtzentrum geht es ruhiger zu. Nicht, dass nicht auch hier der kleinste Laden vergittert wäre. Selbst schwere Flipperautomaten werden vor dem Abtransport geschützt. Ein junger Mann spielt in einer Seitenstraße an so einem Gerät. Er ist von dem Apparat durch ein schweres Gitter getrennt, greift durch die Eisenstangen an die Tasten, schaut durch die Eisenstangen auf die Anzeige mit den gesammelten Punkten, wird auch die nächste Münze durch das Gitter hindurch in den Automat einwerfen.

Das überschaubare Antigua Guatemala, die frühere Hauptstadt, gerade einmal 40 Kilometer entfernt, bildet das Gegenstück zur heutigen Hauptstadt: Sie ist ruhig, sicher und pittoresk mit gepflegten alten Häusern und holperigen Kopfsteinpflasterstraßen. Antigua hat gleich drei Hausvulkane, von denen der markanteste der Volcán de Agua ist. Die Erde ist ständig aktiv, ein leichtes Erdbeben erlebe ich hier an einem Abend selbst.

Ich wohne für ein paar Tage bei Andrea, einer 35jährigen Guatemaltekin, die von 2009 bis 2011 in Erlangen Gerontologie studiert hat. Wir kannten uns damals noch nicht, den Kontakt hat während der letzten Wochen eine Freundin hergestellt, Bettina, die zusammen mit Andrea studiert hat.

 

Antigua Guatemala

Andrea war bereits 2005 als Au-pair-Mädchen in Süddeutschland, wo ein Bekannter ihrer Schwester mit einer Münchnerin verheiratet ist. Deutschland gefiel ihr, auch wenn es nicht leicht war, die Sprache zu lernen, wie Andrea sagt. Sie spricht aber auch heute noch gut Deutsch, obwohl sie es kaum mehr praktizieren kann.

Bei Andrea in Antigua.

 

Nach ihrer Rückkehr in die Heimat bemühte sie sich um ein Stipendium für Gerontologie in Deutschland und bekam es schließlich über den KAAD ("Katholischer Akademischer Ausländer-Dienst"), der die Stipendien mit Kirchensteuern finanziert. Andrea konnte so ihren gesamten Aufenthalt in Deutschland abdecken, musste aber sehr genau Rechenschaft über ihre Ausgaben ablegen. Kosten für Miete, Verpflegung, Bücher, etc. musste sie exakt auflisten.

In Guatemala bekam Andrea nach dem Studium eine Anstellung bei der staatlichen Sozialversicherung. Der Job ist für hiesige Verhältnisse gut bezahlt, allerdings hat sie in den letzten drei Jahren nicht einen einzigen Tag Urlaub gehabt!

 

Bereits in Mexiko habe ich mich an die hohe Präsenz von Soldaten und Polizei gewöhnt. Dort hat man manchmal den Eindruck, es sei ein Bürgerkrieg im Gange. Durch die Städte und über die Landstraßen fahren Pickups mit vier bis acht schwerbewaffneten Männern auf der Ladefläche. Immer steht einer von ihnen an einem Maschinengewehr, dessen Lauf zwischen zwei Schutzschilden nach vorn ausgerichtet ist. Es sieht wirklich aus wie Krieg. Diese Pickups erinnern mich an Bilder aus Somalia und an meine Konvoifahrt durch den Norden Pakistans (siehe "High Way - Karakorum").

Aber Guatemala bietet noch einmal eine deutliche Steigerung, was die Präsenz von Waffen betrifft. Selbst kleine Geschäfte, die man mit europäischen Augen als völlig ungefährdet ansehen würde, werden von Sicherheitspersonal bewacht. Banken und Tankstellen sowieso. In den Lastwagen, die Container vom Hafen in die Hauptstadt transportieren, fehlt nie der bewaffnete Begleiter auf dem Beifahrersitz. Einige Lastwagen werden sogar von einem Pickup mit einem vier- oder fünfköpfigen Sicherheitsteam eskortiert.

Auch dieser Lastwagen wird von einem Sicherheitsteam durch Guatemala begleitet.

Waffen sind allgegenwärtig in ganz Mittelamerika, und sie werden auch eingesetzt. In El Salvador, das wie Belize etwa so groß wie Hessen ist, sterben jeden Tag durchschnittlich 14 Menschen durch Gewaltverbrechen. Jeden Tag 14 von gerade einmal sieben Millionen Einwohnern. Die Gewaltbereitschaft in Honduras ist vergleichbar, die in Guatemala statistisch nur etwas geringer.

Ich treffe ein reisendes Paar aus Kanada, das in Rio Dulce - im Osten Guatemalas - nach einem kurzen Ausflug nicht mehr zurück in die Unterkunft kam, weil dort in der Zwischenzeit ein junger Guatemalteke erschossen worden war. Die Polizei riegelte die Herberge daraufhin ab. Es war offenbar eine spontane Tat des Schützen, Totschlag aus Eifersucht. Am selben Tag treffe ich einen Franzosen, der gleich nach seiner Einreise in El Salvador einen erschossenen Mann neben der Straße sah. Auch hier war die Polizei bereits vor Ort. Waffen gehören in Mittelamerika zum Straßenbild, sie werden offen getragen und sitzen sehr, sehr locker.

Am Straßenrand werden Leguane angeboten (für den Kochtopf).

Der Strandort El Tunco ist ein Fremdkörper in El Salvador und hat mit dem Land so wenig zu tun wie Goa mit Indien. Hier gibt es vermutlich mehr Touristen als Einheimische. Der Ort ist recht sicher, wenngleich ab und zu auch mal ganze Hostels bei einem Überfall ausgehoben werden.

Das Städtchen Usulutan, 120 weiter östlich, ist wieder ganz und gar El Salvador. Die nette Betreiberin des Hostals erklärt mir, wo ich abends noch hingehen kann und welche Viertel ich unbedingt meiden soll. Dort, wo ich hingehen darf, ist gerade eine Operation im Gange. Gut 20 Polizisten sind im Einsatz, ein Hubschrauber kreist über den Dächern. Beim Rundgang durch die Stadt sehe ich so viele Funerarias (Bestattungsunternehmen) wie nirgendwo zuvor. Vielleicht ist das in diesem ganzen Umfeld aber auch nur eine verzerrte, selektive Wahrnehmung.

"Dieses Fahrzeug transportiert keine Wertsachen." - Also bitte nicht überfallen.

 

Die Reise durch Honduras ist noch kürzer als die durch Belize. Nach 28 Stunden bin ich schon wieder draußen und reise nach Nicaragua ein. Einen Tag bevor Max in Managua einfliegt, komme ich in der Hauptstadt an.

Wir haben uns im "Managua Backpackers Inn" verabredet, das in einem als sicher geltenden Stadtviertel liegt. Managua an sich wird als die sicherste Hauptstadt Mittelamerikas eingestuft, was allerdings ein zweifelhafter erster Platz ist in Anbetracht der Kriminalität in den Ländern drum herum. Doch Managua sei viel besser als sein Ruf - schwört nicht nur der Reiseführer.

Sicherste Hauptstadt, sicheres Stadtviertel - das alles nutzt mir nichts. Als auf dem kurzen Weg zum Supermercado der eine mich packt, ich mich losreißen will, aber dabei stürze und plötzlich auf dem Rücken liege, und der andere kommt, mit einem Messer in der rechten Hand, das eigentlich kein Messer ist, sondern eine kleine Machete mit einer 40-Zentimeter-Klinge, bin ich nur einer mehr, der in einer mittelamerikanischen Großstadt überfallen wird.

 
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Maks

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