(Usbekistan / Kirgistan)
27.9.2013 - Osh / Kirgistan (11606 km)
Geldtransporter sind in Kasachstan und in Kirgistan beige Autos mit einem grünen Streifen, vom Format eines VW Caddy. Auch in Usbekistan sind die Geldtransporter beige mit einem grünen Streifen - aber es sind ausgewachsene Lastwagen.
Kein Wunder, denn die größte usbekische Geldnote, der 1000-Sum-Schein, hat einen Wert von gerade einmal 28 Euro-Cent. Folglich sind nicht nur die Geldtransporter groß, sondern auch die Geldbündel, die man bei sich trägt, dick.
Der Geldstapel links in der Tasche ist ca. 30 Euro wert.
Wenn man einhundert Dollar tauscht, bekommt man 270 Geldscheine in die Hand gedrückt (wenn ärgerlicherweise 500er eingestreut werden, natürlich dementsprechend mehr). Der Stapel hat im günstigsten Fall also die Stärke eines 540-Seiten-Taschenbuches. Nach solch einem Tausch stecke ich nur einen Teil davon in die Lenkertasche, den Rest stopfe ich in eine der anderen Packtaschen.
Im Laufe der Reise durch Usbekistan gewöhne ich mir ab, jeden einzelnen Stapel vollständig durchzuzählen, mache bald nur noch Stichproben. Erstens sind auch die Usbeken sehr ehrliche Menschen, außerdem brauche ich beim Zählen ewig für die 270 Scheine.
Die Einheimischen lachen sich innerlich bestimmt kaputt, wenn sie sehen, wie langsam und ungeschickt ich mich durch die Stapel arbeite. Für die Usbeken ist das Geldzählen tägliche Routine, sie sind unglaublich flink dabei. Den Geldwechslern fliegen die Scheine durch die Finger wie sie einer Zählmaschine durch die Lamellen huschen. Trotzdem verbringen die Menschen mit dem Geldzählen eine beträchtliche Zeit ihres Lebens.
Ein junger Usbeke mit Papas (?) "Ural"-Fahrrad.
Auf der Bank würde man für die 100 Dollar übrigens nur ein 400-Seiten-Taschenbuch bekommen. Der offizielle Umtauschkurs ist 1 : 2.000. Aber auf der Bank tauscht keiner. Alle tauschen die Dollars, die sie bar mitgebracht haben, auf dem Schwarzmarkt. Und der ist so richtig schwarz gar nicht, er ist eher grau, hellgrau.
In Ländern mit einem schwarzen Schwarzmarkt läuft alles verdeckt ab. Man nähert sich dem mutmaßlichen Geldwechsler nur vorsichtig. Und umgekehrt flüstert der einem vorbeilaufenden Touristen nur leise sein "Change money?" ins Ohr. In Usbekistan dagegen laufen Geldwechsler mit ihren dicken Geldbündeln in der Hand ganz offen über die Straße. Wenn man selbst die Initiative ergreifen will, geht man einfach in ein Geschäft und fragt den Inhaber direkt, ob er wechselt, auch wenn sich gerade Kunden im Raum aufhalten.
Perfekter Übernachtungsplatz in ca. 1100 Metern Höhe - danke für den Aufbau dieser Steinzelte an der Straße nach Angren!
Eigenartig, wie unkompliziert das inoffizielle Geldtauschen in diesem Polizeistaat ist. Viele andere Dinge regulieren die usbekischen Behörden nämlich äußerst genau. So ist etwa vorgeschrieben, dass der Ausländer alle 72 Stunden gemeldet sein muss. Die Registrierung läuft in Usbekistan über Hotels, die man daher mindestens jeden dritten Tag aufsuchen muss. Und es müssen lizenzierte Hotels sein, nichtlizenzierte Herbergen dürfen Ausländer erst gar nicht aufnehmen.
Wenn es ums Fotografieren geht, ist die usbekische Staatsgewalt ganz besonders nervös. Strategisch wichtig und somit brisant ist alles von der militärischen Einrichtung über den Straßentunnel bis hin zum einzelnen Polizisten. Ich habe mehrere Touristen getroffen, die bei der Ausreise sämtliche Bilder auf ihren Fotoapparaten vorführen mussten. Jessica und Alban mussten drei Fotos, die sie in Samarkand gemacht hatten, löschen - weil ihnen Uniformierte durchs Bild gelaufen waren.
Das "Gasthaus" in Tashkent
Diesbezüglich herrscht eine regelrechte Paranoia, die selbst manch Zivilisten ergreift. Bei der Einfahrt nach Tashkent entdeckte ich einen Hinweis auf das "Gasthaus", ein deutsches Restaurant, auf das ich schon in meinem Reiseführer gestoßen war. Ich fuhr dorthin, in der Hoffnung, ein gemeinsames Foto mit dem deutschen Betreiber schießen zu können.
Als ich ein erstes Bild vor dem Eingang machte, kam ein Mann in halblanger Lederhose auf mich zu und fragte mit ernster Miene, warum ich fotografiert hätte, ob ich Tourist sei. Eigentlich hätte der Usbeke sich die Antwort beim Anblick meines bepackten Rades ja selbst geben können. Für weitere Fotos war er nicht zu gewinnen. Auch im Biergarten und in den Innenräumen liefen alle mit Lederhosen und Dirndln herum, ausschließlich Usbeken und Usbekinnen - ein deutscher Wirt war nirgendwo zu sehen.
(Der Reiseführer leitet seine Beschreibung des "Gasthaus" übrigens folgendermaßen ein: "Spry waitresses in German country outfits serve up foaming litre steins of homemade brew ..." Hurtige Kellnerinnen also, in deutschem Outfit - Dirndl, Lederhose und Maßkrug - ja, das ist Deutschland!)
Von Tashkent fahre ich weiter nach Samarkand, in die berühmte Stadt an der Seidenstraße. Eines der ganz großen Highlights in Zentralasien. Von den glorreichen Zeiten ist auch durchaus etwas zu erahnen, aber die Restaurierung der historischen Bauwerke, die immer wieder von Erdbeben durchgeschüttelt wurden, ist zum Teil doch arg plump vorgenommen worden. Besonders unschön ist die jüngste Umgestaltung der Innenstadt. Man hat die Baudenkmäler von der umliegenden Altstadt durch hohe Mauern isoliert, auf der touristischen Seite mit Mosaiken verziert, die der Laie glatt für Originale halten könnte. Auf der Rückseite, die kaum ein Besucher sieht, sind diese einseitigen Mosaikmauern nur graue Betonwände.
Samarkand ist keine Enttäuschung, aber Buchara soll schöner sein. Das nächste Ziel, knapp 300 Kilometer entfernt. Doch nach Buchara komme ich nicht mehr.
Timurs Mausoleum
Wie ich in Samarkand erfahre, stellt China im Zuge weltweiter Neuregelungen in Zentralasien plötzlich keine Visa mehr an Drittstaatler aus. Einzig in Tashkent gäbe es noch eine geringe Chance, doch die Laufzeit meines Usbekistanvisums reicht für einen Antrag dort nicht mehr aus.
Ich muss meine Pläne radikal ändern. Muss einen meiner Reisepässe nach Deutschland schicken, um das Visum dort zu beantragen. Aus verschiedenen Gründen ist es der Pass, in dem auch das Tadjikistanvisum klebt. Somit ist natürlich auch die Schleife durch den Pamir gestrichen, stattdessen muss ich zurück nach Kirgistan auf dem Weg fahren, den ich gekommen bin. Es gibt nur ganz im Osten zwei offene Grenzübergänge zwischen den beiden Ländern.
Usbekistan, Tadjikistan und Kirgistan sind derart ineinander verzahnt, dass das Fergana-Tal im Osten mit dem Rest Usbekistans nur durch einen schmalen Landstreifen verbunden ist, über den der 2300 Meter hohe Kamchik-Pass führt. Die teils willkürliche, teils gezielt Zwietracht säende Grenzziehung in Zentralasien ist Stalins Werk. Er hatte einige traditionell von Usbeken bewohnte Landstriche Kirgistan und Tadjikistan zugeschlagen, dafür gibt es tadjikisch dominierte Städte in Usbekistan. Zahlreiche Exklaven machen die Situation noch komplizierter, und sie sorgen für Zündstoff. Im Sommer 2010 führten ethnische Konflikte im kirgisischen Osh an der usbekischen Grenze zu schweren gewalttätigen Ausschreitungen zwischen den Volksgruppen, bei denen mehrere Hundert Menschen ihr Leben verloren.
Allee im Fergana-Tal
Das Fergana-Tal ist sehr fruchtbar und dicht besiedelt. Es lebt von dem Wasser, das aus den Bergen Kirgistans kommt, ist durchzogen von großen und kleinen Kanälen, die das Wasser der Flüsse in die Breite verteilen. Bei 40 Grad im Schatten bieten die Kanäle ganz nebenbei auch eine willkommene Bademöglichkeit. Am Straßenrand werden Melonen aller Art, Äpfel, Trauben, Granatäpfel, Tomaten, Gurken, Paprika, Zwiebeln angeboten - alles frisch von den riesigen Feldern.
Die intensive Bewässerung ist ökologisch allerdings sehr bedenklich. Im Fergana-Tal wird ein beträchtlicher Teil des Wassers abgezweigt, das dem Aralsee fehlt. Besonders die durstigen Baumwollsträucher werden für dessen Austrocknung verantwortlich gemacht.
Im Baumwollfeld
Weil Usbekistan bekanntermaßen ein Polizeistaat ist, weil alles streng reglementiert ist und weil es die 72-Stunden-Meldepflicht für Ausländer gibt, hatte ich mich darauf eingestellt, dass die Usbeken eingeschüchtert den Kontakt zu den Fremden meiden könnten. Aber das Gegenteil ist der Fall. Das spürte ich ja gleich schon nach der Einreise vor vier Wochen (siehe letzten Bericht). Gerade hier im Fergana-Tal, das viel weniger Touristen sieht als Khiva, Buchara und Samarkand, sind die Usbeken besonders neugierig und kontaktfreudig. Immer wieder stoppen sie mich auf der Straße, ich muss private "Interviews" geben, man lädt mich ein; zweimal stecken mir Usbeken Geld zu ("fürs Essen", "für Wasser").
So fühlt man sich, wenn man ohne Visum festsitzt:
Wirklich berührend ist ihre Gestik beim Abschied, wenn sie die rechte Hand zur Brust führen und sich ganz leicht verneigen. Ein sehr angenehmes und ehrlich gemeintes Zeichen der gegenseitigen Achtung. Es dauert nicht lang, bis du dich unbewusst genauso verabschiedest.
Am letzten Gültigkeitstag meines Visums reise ich aus Usbekistan aus. Zum Glück hat Kirgistan die Visumpflicht für die EU-Bürger vor gut einem Jahr abgeschafft. Das Land ist damit die einzige Insel in Zentralasien, auf der man sich unbürokratisch für 60 Tage aufhalten darf.
Mein Zweitpass ist inzwischen in Deutschland angekommen, aber der Antragsprozess für die Einreise nach China stockt. Er zieht sich in die Länge.
Er versandet nach zwei Wochen.
Es tut sich ein Zweiter Weg auf.
Der erste Prozess läuft zäh wieder an.
Nichts ist sicher.
Doch - das nämlich: Zur Route durch China gibt es nur eine Alternative: den Flug nach Islamabad.
Ich sitze in Osh mit dem Ohr am Internet. Hallo? Was tut sich in Deutschland?